Die jüngsten hundert Jahre standen im Zeichen des Schlagzeugs, meint Martin Grubinger junior.
Um die stilistische Vielfalt des Jahrhunderts wie der Instrumentengruppe zu würdigen, hatte er mit seinem Vater, Martin Grubinger senior, eine Collage der Stile und der Klänge zusammengestellt, die beide zusammen mit 13 weiteren Hochleistungsinstrumentalisten als „The Percussive Planet Ensemble“ im Großen Saal der Alten Oper vorstellten. Der Anblick der mit ungezählten vertrauten und unvertrauten Perkussionsinstrumenten vollgepackten Bühne verhieß nicht zuletzt eine Materialschlacht. Das Prüfen der vom Veranstalter „Pro Arte“ verheißenen Superlative ist Sache von Guinness-Buchhaltern. Hier interessiert vor allem der Sinn.
Im ersten Teil, „Archaic Rituals“, erklang ganz leise auf einer Marimba das Thema aus Strawinskys „Sacre du Printemps“. Martin Grubinger bezeichnete es als erste Komposition eines „ernsten“ Komponisten, in der das Schlagzeug eine tragende Rolle spielt. Von melodiösen Anspielungen auf Meilensteine der Musikgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts abgesehen schienen weite Zeitstrecken dieser Collage über einen Wechsel von verabredeten Gemeinschaftsaktionen und Freiräumen für auch solistische Improvisation strukturiert: eine aus dem klassischen Jazz übernommene, sehr integrative Musikform, die Martin Grubinger (Sohn) auch in seinen pädagogischen Projekten immer wieder anwendet. Hier machte sie jeden der 15 Mitspieler zu Mitkomponisten, auch wenn Martin Grubinger (Vater) die Partitur vor sich hatte. Die enorme geistige Präsenz dieser Musiker zeigte sich unter anderem darin, wie sie immer wieder so überzeugend wie überraschend und punktgenau zu einer gemeinsamen Schlagzeit oder einem gemeinsamen Schluss zusammenfanden, auch aus dem Dickicht polyrhythmischer Strukturen.
Die meisten von ihnen hatten überdies Gelegenheit, sich solistisch zu profilieren. In einem ausgedehnten Solo beeindruckte vor allem Rhani Krija auf der Darbuka: Seine unendlich fein ausdifferenzierte Anschlagstechnik verwies auf die alten musikalischen Hochkulturen Indiens und der arabischen Welt. Im zwanzigsten Jahrhundert sind sie gesteigert ins abendländische Bewusstsein getreten, zumal viele „ernste“ Komponisten sich nicht mehr für die Dur-Moll-Tonalität interessierten und nach anderen Möglichkeiten suchten, um ihre Musik zu strukturieren. Vor diesem Hintergrund ist es (mutmaßlich wider besseren Willen) eurozentrisch, die jüngsten rund hundert Jahre als „The Century of Percussion“ auszurufen. Der Hinweis auf außereuropäische Kulturen machte diesen Eindruck insofern nicht wett, als die Nischen dafür nur sehr eng getaktet waren. Und so wirkte das zweieinhalbstündige Überangebot an Schnellem und Lautem, als habe man doch nicht wirklich etwas sagen wollen und nicht nur in der hyperaktiven Virtuosität von Martin Grubinger (Sohn) amorph.
DORIS KÖSTERKE
10.4.19