„Man thut sein Bestes, repräsentirt das musikalische Deutschland nach aussen hin in nicht übler Weise und da kommen die hochweisen Herren und sagen, ‚der ist Jude‘ oder, was geradezu an Bornirtheit grenzt, ‚Der hat zuviel jüdischen Anhang, der gehört nicht zu uns’”, klagte Friedrich Gernsheim (1839-1916) seinem Komponistenkollegen Ferdinand Hiller. …weiterlesen
Begegnungen mit Künstlern
Künstler wird man nicht, weil man
ebenso gern Jura studiert oder eine Banklehre gemacht hätte,
um dann in seiner Freizeit ein bisschen zu malen, zu basteln und Musik zu machen.
Künstler wird man, weil man „da“ nicht mitmachen will.
Worin dieses „da“ besteht, stellt sich erst heraus, wenn es über Jahre hinweg zur täglichen Frage wird,
warum man ein Herumkrebsen am Existenzminimum diesem „da“ vorzieht.
Gegenüber diesem „da“
gibt es keine Unterschiede
zwischen Malerei, Plastik, Musik, Tanz, Theater, usw.
Es gibt nur „Kunst“, die sich mit dem „da“ auseinandersetzt.
Diesen Ansatz habe ich 1992 für mich formuliert. Zwischenzeitlich hatte ich die Formulierung vergessen und beim Wiederfinden gestaunt, dass ich diesen Ansatz bis heute im Hinterkopf trage, wenn ich mich im weitesten Sinne mit Kunst und Künstlern beschäftige.
Ich suche.
Nach umweltverträglicheren Arten zu leben.
Nach erfreulicheren Formen des Miteinanders.
Nach Werten.
Nach Freude am Leben, um rechtzeitig sterben zu können.
Brauchbare Antworten habe ich am ehesten im Begegnen mit Künstlern gefunden.
Künstler, die sich in ihrer Kunst diese oder vergleichbare Fragen nicht stellen, interessieren mich allenfalls dann, wenn sie trotzdem Antworten geben.
Diese Rubrik würdigt Menschen, die mich beeindruckt und ein Stück weit geprägt haben.
Allen voran war das John Cage, dem ich eine eigene Kategorie im Hauptmenü gewidmet habe:
Acht Jahre meines Lebens habe ich der Beschäftigung mit seinen Gedanken gewidmet:
Um zu erkennen, dass er der bahnbrechendste und richtungsweisendste Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts war, muss man sich mehr mit ihm selbst und seinen Gedanken beschäftigen, als mit den Vorurteilen über ihn.
Viele Jahre habe ich gebraucht, um mir einzugestehen, dass auch ich voller Vorurteile bin.
Mein Bild von Brian Ferneyhough, zum Beispiel, war geprägt durch den markigen Ausspruch eines Flötisten:
„Wenn Ferneyhough Probleme hat, soll er zum Psychiater gehen. Ich als Interpret bin dafür nicht zuständig!“.
Das Vorurteil hat sich gehalten, über viele erlebte Aufführungen von vielen Interpreten. Bis ich Ferneyhough selbst begegnet bin.
Ein wirkliches Begegnen mit Künstlern, mit Menschen, die „anders“ sind, ist das große Privileg meines Berufes.
Materiell nährt mein Beruf mich nicht. Aber ohne diese Anregungen würde ich geistig verhungern.
Nicht immer besteht zeitnah die Möglichkeit, über eine Begegnung zu schreiben.
Folglich besagt die hier zur Verfügung gestellte Auswahl keineswegs, dass es nicht noch mehr Künstler im emphatischen Sinne des Wortes gäbe.
Ich will, dass es immer mehr werden. – Auf dieser Seite, wie im Rest der Welt!
Happy New Ears für Unsuk Chin
„Unüberheblicher Witz“ – damit hatte Moderatorin Kerstin Schüssler-Bach ungemein treffend beschrieben, was Unsuk Chin versprüht. Der 1961 in Korea geborenen Komponistin war das jüngste Werkstattkonzert Happy New Ears des Ensemble Modern gewidmet, das als Lifestream aus dem Dachsaal der Deutschen Ensemble Akademie übertragen wurde. Unsuk Chin war dazu aus Rom zugeschaltet, wo sie derzeit als Stipendiatin in der Villa Massimo weilt. In der Nahaufnahme sah man ihre meist verschmitzt verengten Augen. Und wenn sie sie, selten, ein wenig öffnete, den Schalk darin blitzen.
Den gleichen Eindruck vermittelte ihre Musik. …weiterlesen
Gespräch mit Klangregisseur Norbert Ommer
Norbert Ommer ist Klangregisseur, nicht nur beim Ensemble Modern. Was das ist und was er macht war Gegenstand von zwei Gesprächen via Skype, deren Niederschriften er jeweils korrigiert und ergänzt hat. Die Quintessenz ist hier komprimiert:
„Innere Virtuosität“ bei David Fennessy
Ein schwebender Klang undefinierter Herkunft wurde lauter, je näher der Perkussionist seine Hand dem Fell der Pauke annäherte und schien sich zusammen mit der Hand zu entfernen. Zwischen der flachen Hand und dem Fell der Kesselpauke meinte man ihn wachsen und schrumpfen zu sehen. – „Ich wollte hier mit dem Feedback-Effekt spielen, als ob er ein selbständiges Instrument wäre“, kommentierte David Fennessy …weiterlesen
Tania Rubio fasst indigene Gedanken in Musik
In der Musik spürt man seine gemeinsame Wurzel mit allem, was ist. Vielleicht nicht in jeder Musik. Wohl aber in der von Tania Rubio. Die 1987 geborene mexikanische Komponistin ist in diesem Sommer für knapp drei Monate als Composer in Residence in Frankfurt. …weiterlesen
Mit Glücksgefühlen gegen Flüchtlingspolitik
Aufgewachsen in der klaren Bergluft des Montafon unter nationalistisch gesinnten Menschen fand Georg Friedrich Haas, dass rassistische Grausamkeit nur dadurch möglich sei, dass Mitgefühl unterdrückt wird. Eigene Gefühle zuzulassen, zu kultivieren und im Gegenüber zu erwecken wurde für ihn zur politischen Aussage. Dem 1953 in Graz geborenen Komponisten widmete das Ensemble Modern sein jüngstes Werkstattkonzert „Happy New Ears“ im Holzfoyer der Oper. …weiterlesen
Gottes Nähe und Ferne bei Mark André
Der Einsatzgeste von Ingo Metzmacher schien zunächst nichts zu folgen. Erst allmählich schälte sich im Akkordeon ein leises Beben, Flimmern, Rauschen aus der Stille, vorsichtig vom Ensemble verstärkt und wieder verebbend. …weiterlesen
Vermögensberatung für die Dauer-Baustelle
Das eigentliche Kapital eines jeden Menschen, sagt Martin Viergutz, ist sein Vermögen, etwas zu gestalten: Seine Umgebung, seine Beziehungen, sein Zuhause, seinen Garten, Kunstwerke.
Vor allem aber: sich selbst. …weiterlesen
Workshop mit Brian Ferneyhough
„Hört auf die Figuren! Sonst klingt es wie Boulez“. …weiterlesen
Querfeldein – Jaan Bossier und Klezmenco
„Du solltest besser darüber schreiben, wie ich Baumrinde beim Wachsen zugucke“, lacht Jaan Bossier. Als Klarinettist spielt er Stücke, vor denen hochkarätige Kollegen kapitulieren. …weiterlesen