Mit einer leibhaftig agierenden Turntable-Virtuosin lockte der zweite Abend des „cresc…“-Festival 2020, „Mensch und Maschine“, ins Frankfurt LAB. Tatsächlich hatte Shiva Feshareki, die in ihrer Auftragskomposition „Opus Infinity” selbst als Solistin wirkte, viele Menschen angezogen, die nicht zur eingeschworenen Wahlverwandtschaft des Ensemble Modern gehören. Die Uraufführung ihrer Raumkomposition für Turntables, Ensemble und eigens entwickeltes Soundsystem wurde mit reichem Beifall aufgenommen.
Enno Poppe als Dirigent …
Zu Beginn des Abends verhießen drei historische Flugzeugpropeller am Hintergrund der Bühne einen nostalgischen Blick zurück: Bei seiner Pariser Uraufführung 1926 und erst recht bei der New Yorker Erstaufführung 1927 war das Ballet Mécanique von George Antheil ein Skandalstück. 1953 fertigte der Amerikaner, der unter anderem bei Schönberg und Strawinsky studiert hatte, eine Fassung für vier Pianos und zwölf Schlagzeuger an, die ohne den parallelen Film von Fernand Léger und Dudley Murphy auskam. Enno Pope dirigierte die aus seinem ensemble mosaik wie dem Ensemble Modern stammenden Musiker sicher durch die Tempowechsel in den Übergängen zwischen verschiedenen mechanistischen Abschnitten. Mit klaren Bewegungen, die zugleich ein Ausdruckstanz waren.
… und Komponist
Seine Fähigkeiten als Dirigent stehen außer Frage. Doch während der Aufführung seiner Komposition „Rundfunk für 9 Synthesizer“ (2018) an anachronistisch wirkenden Minimoogs durch ihn und Mitglieder des ensemble mosaik fragte man sich einmal mehr: Was unterscheidet Enno Poppe als Komponist von den vielen anderen, die ebenfalls komponieren und darum ringen, dass man sie wahrnimmt? Vor vielen Jahren antwortete ein Mitglied aus dem ensemble mosaik auf diese Frage: „Es macht einfach unheimlich viel Spaß, mit Enno zu arbeiten: mit seinem Humor, seine Selbstironie und wie er sich immer wieder mit Absicht selbst ein Bein stellt!“ Dieser Ansatz trug auch hier. Beispielsweise gab es einen Abschnitt, der lauter und lauter wurde, als wollte die Musik gleich explodieren. Doch während dieser Steigerung war zunächst unbemerkt etwas entstanden, das den musikalischen Fluss aus diesem Klischee in eine neue Richtung weitertrug. Dennoch war das Stück eindeutig zu lang: Schon bei Ankündigung der Aufführungsdauer von sechzig Minuten hatte man sich gefragt: Will das Stück, dass wir auf Alphawellen in einen Trance-Zustand surfen?
Heilige Geometrie
In Trance-ähnliche Zustände führte die Uraufführung von „Opus Infinity: A Spatial Composition for Turntables, Ensemble and Bespoke Soundsystem (2019)“ der englisch-iranischen Komponistin Shiva Feshareki. Die Musiker des Ensemble Modern waren nach einem genauem rund um die Turntables im Raum verteilt. Die Zuschauer bewegten sich dazwischen, wodurch der ästhetische Plan, inspiriert von der indisch-jainistischen Vorstellung einer „heiligen Geometrie“, die sich über den Weg der Kunst auch in der menschlichen Seele spiegeln kann, nicht mehr erkennbar war. Eindrucksvoller als die an Minimal Music erinnernden musikalischen Bausteine, die effektvolle Lichttechnik und die eigens für dieses Werk entwickelte Klangtechnik, die die improvisierten Klänge der Virtuosin um den Raum herumbewegten (Klangregie: Norbert Ommer) waren die Korrespondenzen der Instrumente über den Raum hinweg. Die Röhrenglocken der beiden Schlagzeuger Rumi Ogawa und Rainer Römer gaben dem Ganzen einen sakralen Anstrich, der von der Komponistin durchaus beabsichtigt war.
DORIS KÖSTERKE
01.03.2020
Ein Mitschnitt der Uraufführung wird am 19.09.2020 ab 23 Uhr in „The Artist’s Corner“ auf hr2-kultur gesendet.
Ein Interview mit Shiva Feshareki vom 17.02.2020 findet sich unter: http://www.sokratia.de/1491-2/