Happy New Ears für Unsuk Chin

„Unüberheblicher Witz“ – damit hatte Moderatorin Kerstin Schüssler-Bach ungemein treffend beschrieben, was Unsuk Chin versprüht. Der 1961 in Korea geborenen Komponistin war das jüngste Werkstattkonzert Happy New Ears des Ensemble Modern gewidmet, das als Lifestream aus dem Dachsaal der Deutschen Ensemble Akademie übertragen wurde. Unsuk Chin war dazu aus Rom zugeschaltet, wo sie derzeit als Stipendiatin in der Villa Massimo weilt. In der Nahaufnahme sah man ihre meist verschmitzt verengten Augen. Und wenn sie sie, selten, ein wenig öffnete, den Schalk darin blitzen.

Den gleichen Eindruck vermittelte ihre Musik. Für das Portraitkonzert hatte das Ensemble die Komposition ›Gougalōn‹ ausgewählt, die es mit Hilfe des Siemens Art Program ermöglicht und 2009 uraufgeführt hatte.

›Gougalōn‹ ist ein Verb aus dem Althochdeutschen und heißt so viel, wie ›jemandem etwas vorgaukeln‹. Unsuk Chin betont, dass dabei echte Emotionen ausgelöst werden. „Ich hab das Stück gebraucht, ich musste das schreiben“, sagt sie mit einem plötzlichen Ernst, der spüren lässt: hier geht es um unendlich viel mehr.

Die Inspiration kam ihr, als sie sich 2008 im Rahmen des into… Projekts im chinesischen Perlfluss-Delta aufhielt. Jenseits der repräsentativen Wolkenkratzer fand sie die ausgedehnten Holzhütten-Viertel der einfachen Menschen und dazwischen fahrende Gaukler, wie sie sie aus ihrer Kindheit kannte: Die kamen etwa einmal im Monat, machten Kunststücke zu kitschiger Musik und boten Waren an, die niemand brauchte – ein Ereignis, zu dem viele Menschen zusammenkamen, um miteinander zu lachen, zu weinen, zu tanzen und sehr viel zu trinken. Das war nicht nur lustig: Eltern konnten nicht verhindern, dass Perückenmacher ihren Töchtern die Pferdeschwänze abschnitten.

Auf Europäer wirkt das mikrotonale Klangbild „fernöstlich“, obwohl Unsuk Chin „keine koreanische Musik“ schreiben wollte. Fast alle Instrumente klingen verfremdet. Ein Schwenk der Kamera zeigt das Innere eines der beiden Klaviere, das mit Schrauben, Schaumstoff und Lederriemen präpariert ist. Violinen und Viola wurden höher gestimmt. Im Zusammenklang ergeben sich viele Schwebungen. „Es ist besonders gut gespielt, wenn es falsch klingt“, sagt Unsuk Chin. – Für die feinen Ohren von Streichern eine ungewohnte Aufgabe.

„Die Partitur ist wunderbar klar und verständlich“, sagte Roland Kluttig, der das Stück mit sichtlichem Vergnügen dirigierte, während den meisten die Musikern die Anspannung anzumerken war: Unsuk Chin lockt sie mit Absicht aus der Komfortzone, möchte, „dass sie über die eigene Grenze gehen“.

Dem „Dramatischen Öffnen des Vorhangs“ folgt als langsamer Satz das „Lamento der glatzköpfigen Sängerin“. Sein Titel spielt auf Ionescos absurdes Theaterstück Die kahle Sängerin an (bekanntlich wunderte sich Ioneco, dass die Zuschauer darüber lachten). Im dritten, ›Grinsender Wahrsager mit falschem Gebiss‹ klappern die falschen Zähne zunächst im Xylophon, dann in den Kuhglocken, in einer Virtuosität und rhythmischen Komplexität, die Chin der koreanischen Volksmusik entnommen hat. Das Straßenbild nach der Vorstellung spiegelt eine „Episode zwischen Flaschen und Dosen“. Einem schleppenden, hinkenden „Tanz um die Baracken“ folgt ›Die Jagd nach dem Zopf des Quacksalbers‹, alles in der anregend distanzierten Atmosphäre von unüberheblichem Witz. – Und wie soll man jetzt klatschen?

DORIS KÖSTERKE

 

Das Konzert wird am 25. und 28. Februar jeweils um 19.30 Uhr wiederholt.

Der Stream bleibt bis zu 48 Stunden nach dem ursprünglichen Beginn der Veranstaltung abrufbar. Tickets nach solidarischem Preis-System über https://stream.reservix.io/e1651394.