„Inferno“ von Lucia Ronchetti

Die Proben zur Oper „Inferno“ von Lucia Ronchetti wurden auf halbem Wege eingefroren. Die Uraufführung ist in den Juni 2021 verschoben. Die Komponistin ist derzeit in Rom isoliert. Dirigent Tito Ceccherini und die beiden Dramaturgen, Ursula Thinnes vom Schauspiel und Konrad Kuhn von der Oper erleben das gleiche in Frankfurt.

TALK ZU »INFERNO« auf Facebook

Im zeitlichen Umkreis der geplanten Uraufführung dieser Produktion, in der unüblicher Weise Oper und Schauspiel gleichberechtigt zusammenarbeiten, trafen sich die vier zu einer Zoom-Konferenz und stellten das Resultat bei Facebook ein: Man wolle sein Publikum einladen, über dieses sehr besondere Projekt mehr zu erfahren, sagte Konrad Kuhn von der Oper Frankfurt als Moderator des Werkstattgesprächs.
Die Idee zur Zusammenarbeit von Oper und Schauspiel, so Ursula Thinnes, stammte von Anselm Weber, bevor er Schauspiel-Intendant wurde: Wenn beide schon unter einem Dach arbeiten, könnten sie das auch zusammen tun, fand er.

Auskomponierte Sprache

Die Komponistin betrachtet gesprochene Sprache als „Sinn gewordener Klang“. Der lässt sich genauso komplex organisieren, wie Musik in engerem Sinne. Einschließlich Tonfall und Klangfarbe. Die Schauspieler waren zunächst „alle ein bisschen erschrocken über diese neue Herausforderung“, erzählte Ursula Thinnes schmunzelnd. Andererseits lässt Ronchetti den Schauspielern noch genug Freiheiten, um ihren Rollen ihr eigenes Gesicht zu geben: „Lucia hat ihre Idee so klar formuliert, dass man sie auch anders realisieren kann, wenn die Stimme oder der Raum das nötig machen“, erzählt Dirigent Tito Ceccherini. Die Perkussionisten reagieren auf den Tonfall der Schauspieler und die Schauspieler orientieren sich am Klang der Pauken, etwa: mit der Stimme etwas machen, was so klingt, als würde ein Schlagzeuger mit dem Finger über das Fell einer Pauke fahren. „Der Schauspieler wird den Klang im Zusammenhang mit dem Paukisten finden“, betont Ceccherini den einkomponierten Zusammenarbeits-Charakter des Werkes.

„Ein Spiegel von uns heute“

Wie kam es dazu, dass Lucia Ronchetti eine Oper über das Inferno in Dantes Göttlicher Komödie geschrieben hat? „Das war nicht meine Idee, sondern die von Bernd Loebe“, sagte Lucia Ronchetti. „Er hat mir 2016 den Kompositionsauftrag gegeben“. Als Italienerin war sie natürlich begeistert: Zum ersten Mal habe sie sich als Elfjährige mit Dantes Göttlicher Komödie beschäftigt und danach immer wieder und wieder und zunehmend intensiver. „Es ist eine Bibel für mich“, sagt sie. „Und natürlich ein Spiegel von uns heute“. Da habe sie sich gefreut, das in eine eigene Form bringen zu dürfen. „Während der Arbeit war ich sehr, sehr glücklich: Alles war zur rechten Zeit am rechten Ort“, erzählte sie.

„ … ein mittelalterlicher Carl-Orff-Klang“

Als Klangbild schwebte der Komponistin eines aus Pauken und Bläsern vor, „ein mittelalterlicher Carl-Orff-Klang“. Für die letzte Szene, die den unteren Höllenkreis darstellt, in dem verschiedene Formen von Verrätern bis zum Kopf in einem See eingefroren sind, schlug Bernd Loebe ein Streichquartett vor. Die Komponistin fand die Idee genial und setzte sie um. In der Mitte des Sees steht Luzifer. In jedem Mund seiner drei Köpfe steckt einer der drei Verräter Judas, Brutus und Cassius. Librettist Tiziano Scarpa hat sich möglichst eng an die Sprache Dantes gehalten. Aber für diese Szene, in der Luzifer mit drei vollen Mündern spricht, fand er eigene unterhaltsame Mittel. „Hier erleben wir eine Auflösung des Sprachkunstwerks in eine hintersinnige Kabarett-Einlage“, freut sich Konrad Kuhn.

Durch die Hölle zu sich selbst

Ursula Thinnes beschrieb das Florenz der Zeit, in der Dante seine Göttliche Komödie schrieb, als ungezügelt explodierende Wirtschaftsmacht, als Gesellschaft im Umbruch und darin der unsrigen nicht unähnlich. Dante wollte sich diese weltlichen Mächte zu Nutze machen und geriet in ihre Mühlen. „das war seine Hölle, durch die er ging“, formulierte Konrad Kuhn. Die Göttliche Komödie war für Dante ein Weg durch die Hölle zu sich selbst. Als ein offizieller Dante, der spricht und einem Gesangsquartett der inneren Stimmen.

Über die Inszenierung verriet Konrad Kuhn, dass eine große Filmleinwand die Bühne im Bockenheimer Depot grundieren wird. „Was in diesem Film passiert, ist die Hälfte der Inszenierung“. Das Bühnengeschehen wird sich daran reiben. Der Film ist bereits fertig. Mit Personen, die auf der Bühne zu sehen sein werden. Dazu einigen, die nur im Film vorkommen. Und Bezugnahmen zu einem italienischen Stummfilm von 1911, „L’Inferno“ von Giuseppe de Liguoro, der seinerzeit international erfolgreich war.

„ … die Paukisten mit ihren Zauberkesseln“

Die Komponistin machte dem Dirigenten das denkbar schönste Kompliment: „Tito hat meine Oper verstanden und kann daraus Musik machen. Auch wenn ich nicht da bin“. Dennoch wäre sie gern dabei, um sie zu erleben, „die Paukisten mit ihren Zauberkesseln. Auf der Suche nach dem Sinn hinter Dantes Worten. Eine „Recherche in Klängen“. – „Das Paukenfell als Mondoberfläche, um in die Zukunft zu sehen“, formuliert Lucia Ronchetti. „Das muss man hören und sehen“.

DORIS KÖSTERKE
23. April 2020

Über Lucia Ronchetti als Stiftungsgastprofessorin: http://www.sokratia.de/sich-selbst-die-…-lucia-ronchetti/