Am 18. April dieses Jahres wird im Bockenheimer Depot ihre Oper „Inferno“ uraufgeführt. Ihre von Achim Freyer in Mannheim inszenierte Oper „Esame di mezzanotte“ wurde von der Zeitschrift Opernwelt als „Uraufführung des Jahres 2015“ ausgezeichnet. Die Komponistin, Lucia Ronchetti, ist in diesem Jahr Stiftungsgastprofessorin an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK).
Stiftungsgastprofessorin Lucia Ronchetti spricht über ihr Komponieren
Spürbar keine passionierte oder auch nur systematische Selbstdarstellerin sprach sie auf Deutsch vor Kompositionsstudenten im Studio für elektronische Musik und Akustik der HfMDK im Kunstzentrum Atelierfrankfurt in der Schwedlerstraße über einige ihrer Werke. Beginnend mit „La palais du silence“ (2013) nach Claude Debussy, der ein gleichnamiges Werk geplant, jedoch nie als Partitur realisiert hat. Debussy, sagte Ronchetti, die unter anderem am Pariser IRCAM studiert hat, könne man als den ersten Komponisten einer musique concrète ansehen: Er habe Geräusche in Musik nachgebildet, etwa die Akustik einer Kathedrale (La cathédrale engloutie), Regengeräusche (Jardins sous la Pluie) oder Wind (Le vent dans la plaine). Inspiriert von Mauricio Kagels Orchesterstück „Interview avec D.“ habe sie einzelne Momente aus Debussys Stücken isoliert, orchestriert und neu zusammengeschnitten. Drei Perkussionisten traktieren das Innere eines Konzertflügels, manche der Streichinstrumente sind in Gaze verpackt und werden durch diese hindurch bespielt: Debussy in surrealistisch-atmosphärischem Klanggewand, Ronchetti spricht von einem „Tarkowski-Gedächtnispalast“.
Globalisierungs- und Bürokratiekritik
Surrealistisch, mit einem kräftigen Schuss Kultur- und Bürokratiekritik, wirkt auch ihre Oper „Esame di mezzanotte“, nach einem Libretto, das Ermanno Cavazzoni nach einem eigenen Roman (I tentazioni di Girolamo, deutsch: Mitternachtsabitur) angefertigt hat: Ein von Prüfungspanik Besessener sucht nächtens eine Bibliothek auf und findet sie von allerlei Kreaturen bewohnt, die im realen Leben keinen Platz finden. Viele der besonders alten Bücher, erzählte Ronchetti, sollen nach einer globalen amerikanischen Richtlinie vernichtet werden, weil seit über zehn Jahren keine Ausleihe verbucht wurde. Der Grund: sie wurden niemals katalogisiert. Die Musik spiegelt dies in zahlreichen Anleihen an hohen und niederen Musiken, die aus der Zeit gefallen sind.
Fasten, Bulimie und Magersucht
Eine besondere Spezialität von Lucia Ronchetti ist die Gattung Chor-Oper (Choral opera, opera corale), für die sie das Material unter anderem von Monteverdi entlehnt. Als eine von ihnen stellte sie „Inedia prodigiosa“, das wundersame Fasten (2016), vor. Inhaltlich stellt Ronchetti darin Magersucht und Bulimie in den Kontext von einem spirituellen Fasten, wie es Mystikerinnen im Mittelalter betrieben haben. Musikalisch arbeitet sie unter anderem mit den verschiedenen Tongebungen von Berufs- und Laienchören.
Lucia Ronchettis Musiksprache besticht durch das Erfolgsrezept „aus alt mach neu“. Im Komponieren legt sie ihren Fokus auf die Vielschichtigkeit des Augenblicks und ringt um einen übergreifenden Zusammenhalt. Dabei ist sie sich selbst ihre stärkste Kritikerin: nicht wenige, auch bereits gedruckte und auf CD eingespielte Werke hat sie zurückgezogen: „Das war mir zu sehr Collage“.
DORIS KÖSTERKE
14.1.2020
Am 27. Mai dieses Jahres wird das Ensemble Modern ihr ein Portraitkonzert in der Reihe „Happy New Ears“ in der Musikhochschule widmen.