Sprint mit Blumenstrauß für Komponistin

Der Titel Kesik (Schnitt) hätte sich auf die Luft im Mozart Saal beziehen mögen. Doch die türkische Komponistin Zeynep Gedizlioglu sah ihr gleichnamiges Ensemblestück als Bruch mit der Kultur, in die sie hineingeboren wurde:

 Zeynep Gedizlioglu

Als sie merkte, wie tief sie von einer alten mediterranen Melodie berührt und gefesselt war, hätte sie sie buchstäblich auseinandergenommen, um sich von ihr zu befreien, erzählte sie im Einführungsgespräch mit Eva Böcker. Im Abonnementkonzert des Ensemble Modern ahnte man diese archaische Melodie im melismenreichen, klanglich verfremdeten, von Christian Hommel tapfer durchgehaltenen Oboensolo, dem das Ensemble fortwährend zu widersprechen schien.

Ashley Fure

Von vornherein konstruktiver erschien Feed Forward (2014) der amerikanischen Komponistin und Pulitzer-Preisträgerin Ashley Fure: von der großen Trommel strukturiert schichteten sich raue, gläserne, zerbrechliche und kompakte Klangflächen aneinander. Man dachte an brechende Eisplatten, die allmählich schmelzen und zu einem weiten, ruhig fließenden Gewässer werden, das ein abrupter Schlag schließlich in ein entfliegendes Flageolett verwandelt. Dirigent Vimbayi Kaziboni, der dieses Konzert mit klaren kraftvollen Gesten leitete, betätigte sich hier als Sprinter, um den Blumenstrauß an die rasch im Publikum verschwundene Komponistin auszuliefern.

Birke Bertelsmeier

Die Komposition de ente (2018) der Siemens-Förderpreisträgerin Birke Bertelsmeier, die an diesem Abend ihre Uraufführung erlebte, fesselte mit dem von Johannes Schwarz gespielten Solo-Fagott, mit prägnanten Rhythmen und Anklängen an einfache Formen: alle drei schienen auf, um sich wieder zu verunklaren, wie eine bisweilen greifbar scheinende, letztlich jedoch unfassbare Antwort auf die Fragen nach dem Wesen des Seins. Die über den Titel anklingende Verknüpfung mit Philosophie war keineswegs weit hergeholt. Denn das Gefühl, dass Musik eine höhere Wahrheit vermittelt, ist wohl der Hauptgrund dafür, dass es sie gibt.

Anahita Abbasi

In Situation II / Dialogue (2016) stellte Anahita Abbasi, aus dem Iran stammend, in den USA lebend, die Frage nach dem Wesen musikalischer Kommunikation in dunklen, mysteriösen und poetischen Farben, in die sich das Rascheln von trockenem Laub und Rummelpott-Knurren mischten: vorsichtig tastend, spannungs- und geheimnisvoll.

Rebecca Saunders

Abschließend erklang, mit Juliet Fraser als idealer Solistin, Skin für Sopran und Ensemble (2016) von Rebecca Saunders: als fließendes, wohl ausgehorchtes, vom Ensemble ebenso fein dosiertes Klangbild mit symphonischen und gesprächshaft-kammermusikalischen Momenten. Seine Intensität und Stimmigkeit ließ zu dem Schluss kommen, dass Rebecca Saunders, als erster Frau unter ausgezeichneten Komponisten, der Siemens Musikpreis zu Recht zuerkannt wurde.

DORIS KÖSTERKE