Helmut Lachenmann

Helmut Lachenmann im Mittelpunkt des Auftakt-Festival der Alten Oper 2005
(16.-17.09.2005)

 

 

Mit Helmut Lachenmann steht eine der beeindruckendsten Komponistenpersönlichkeiten der Gegenwart im Mittelpunkt des diesjährigen Auftakt-Festivals der Alten Oper. Nahezu gleichrangig neben seinem musikalischen Schaffen steht die verbale Eloquenz, mit der er seine künstlerische Tätigkeit hinterfragt und begleitet.

Die Einführungsveranstaltung in den Räumen des Auftakt-Hauptsponsors DekaBank begann Lachenmann, indem er einige Kinderstücke auf dem Klavier spielte, darunter seine „Hänschen klein“- Persiflage. Sie durchmisst den Tonumfang des Klaviers aus piepsigen Höhen in finstere Tiefen und schließt, so herausfordernd wie ermunternd, mit einer offenen Frage. Im Gespräch mit Hans-Klaus Jungheinrich beschrieb Lachenmann seine tiefe Erschütterung über die Missbrauchbarkeit traditioneller Musik zur Nazi-Zeit als Zündfunken seines musikalischen Denkens. Er wolle mit seiner Kunst „nicht hörig, sondern hellhörig“ machen. „Kultur, einst Medium der Erhellung, ist Medium der Verdrängung geworden“ stellt er fest und wendet sich entschieden gegen die gängige Praxis, die „sich die Werke der Tradition als warme Bettdecke über die Ohren ziehen will“. Der Mensch sei, wie Büchner seinen Woyzeck sagen lässt, „ein Abgrund“, und schon Kinder gerieten an mehr Abgründe, „als ihren Erziehern bekannt und erwünscht ist“. Mit seiner Kunst wolle unter anderem lehren, den Blick auf diese Abgründe auszuhalten, sagte Lachenmann.

 

Lachenmann erreicht dies, indem er traditionelle Topoi meidet, oder sie zumindest in einen ihnen fremden Zusammenhang stellt. So besteht sein jüngstes Werk, „Concertini“, das im ersten der ihm gewidmeten Konzerte seine deutsche Erstaufführung erlebte, zum großen Teil aus Geräuschen. Keinen schmerzhaften, sondern solche, die zum Hineinhören einladen. Im mittleren Teil des Mozart-Saales in der Alten Oper hatte man einige Stuhlreihen herausgenommen, um die Musiker, keineswegs nach Instrumentengattungen sortiert, weiträumig zu verteilen. Die insgesamt vier Oboen etwa erklangen aus einander entgegengesetzten Ecken des Raumes. So konnten die Klänge rund um das Publikum herum und über es hinweg miteinander in Beziehungen treten und es gleichsam mit einbeziehen. – Als recht frühes Werk Lachenmanns hatte Michael M. Kasper „Pression“ für einen Cellisten aufgeführt, ein Werk, in dem das Cello mehr gestreichelt als gespielt wird, ein jenseits herkömmlicher Klangwelten ausgesprochen liebevolles Werk. Außerdem stellte das Konzert die humorträchtigen „Sechs Bagatellen“ von Lachenmanns Weggenossen Nicolaus A. Huber wie die „Canti per 13“ von Luigi Nono als dem gemeinsamen Lehrmeister beider Komponisten vor – jeweils in packender Interpretation durch das Ensemble Modern unter entsprechender Leitung von Brad Lubman und höchst differenzierter Klangregie durch Volker Bernhart. – Konstruktive Beiträge des begleitenden Symposiums im Hindemith-Foyer waren Ulrich Moschs Vergleich der Gesten in Lachenmanns Musik mit denen alltäglicher Vorkommnisse und die von Jörn-Peter Hiekel apostrophierte These vom intellektuell Nicht-Verstehbaren als Hinweis auf das Primat der sinnlichen Wahrnehmung. Ein abschließendes Gespräch zwischen Hans-Klaus Jungheinrich, Helmut Lachenmann und dem querdenkenden ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum gipfelte in Baums Aufforderung, dem gegenwärtigen politischen Erosionsprozess einen neuen engagierten Kulturbegriff entgegenzusetzen. Einen solchen Kulturbegriff könnte man eigentlich von Lachenmann abschreiben: Siehe oben.

“If this then that and now what”

Eine Art Musiktheater von Simon Steen-Andersen, aufgeführt in Mainz

„Ich“ – nein, so kann man nicht anfangen. Die Buchstaben verschwinden wieder von der Leinwand über der Bühne vom Kleinen Haus in Mainz. Auch andere Anfänge werden verworfen. „Seit Ewigkeiten hatte ich den Plan, ein Buch zu schreiben, das mit diesem Satz anfangen sollte. Das einzige Problem war nur: Wie sollte es danach weitergehen?“ scheint zwar nicht besser, bleibt aber stehen. “If this then that and now what” von Simon Steen-Andersen ist ein Stück über die Nöte, ein Stück zu schreiben. Ein unter der Leinwand schwankendes Spiegelbild vom Zuschauerraum mahnt: das geht dich an.

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„Die Menschen hungern, und er macht Musik“


„Viele halten ihn für wahnsinnig, manche dachten das immer.
Die Menschen hungern, und er macht Musik.
Aber es ist ja mehr als das, es geht ums Prinzip,
darum, dass er sich
diesem Krieg, der Herrschaft des Todes und der Gewalt einfach verweigert,
dass er festhält, an dem, was der Mensch in seinen besten Momenten ist:
empfindsam für Schönheit. Und für seinen Nächsten.
Er ist ein Künstler im besten Sinne“.


– Sonja Zekri über den Pianisten Aeham Ahmad, Süddeutsche Zeitung, 2015

Werte gegen Gewalt

 

„Durch einen Granatsplitter in seiner linken Hand wird ihm eine weitere Karriere als klassischer Pianist voraussichtlich versperrt bleiben“, heißt es auf verschiedenen Internetseiten. Aeham Ahmad, der in den Ruinen von Damaskus Klavier spielte, um Verzweifelte ihre Würde fühlen zu lassen, gab im dicht besetzten, von Historismus und alkoholischen Düften gesättigten Foyer zum Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden kein „Klavierkonzert“ im herkömmlichen Sinne. Zusammen mit dem ägyptischen Perkussionisten Bergo Ibrahim Kamal, in selbstverfassten Balladen und unverkrampften Improvisationen im Mainstream-Jazz-Idiom mit klassisch-arabischen und klassisch-westlichen Momenten, leistete der filigran gebaute Pianist leise Schwerstarbeit: Im Transzendieren von Erlittenem in die Kraft der Musik. Und im unablässigen Versuch, sein Publikum zu erreichen.

Aeham Ahmads Stücke erschienen wie sein Händedruck: eine unendlich zarte Botschaft der Wertschätzung an das unbekannte Gegenüber. Die Balladen, die er zu seinem Klavierspiel ins Mikrophon haucht, beginnen oft mit einem tonlosen Seufzer, um sich zu Vokalisen aufzuschwingen, Ausdruck von Sprachlosigkeit angesichts des Besungenen, oder Mantra-artig ein einziges Wort in den verschiedenen Beleuchtungen der Musik leben zu lassen, wie „Jarmuk“, das palästinensische Flüchtlingscamp bei Damaskus, in dem er aufgewachsen ist. Oder das Lied auf den Duft vom Jasmin, der die Gasse erfüllte, in der er in Jarmuk gewohnt hatte.

„Das Leben ist so schön. Warum verbringen manche Menschen es damit, andere zu verletzen? Ich verstehe das nicht!“, rief Bergo Ibrahim Kamal in akzentfreiem Deutsch. Er übersetzte, was Aeham Ahmad ihm auf Arabisch zugeraunt hatte und glaubt, auch darüber hinaus dem kleinen, schmalen Pianisten mit den sprühenden Augen und den vielen Demutsgesten aus der Seele zu sprechen.

Eindrucksvoll war die von Bergo Ibrahim motivierte Schweigeminute gegen Ende des Konzerts, zu dem sich das Publikum willig erhob. „Wir denken jetzt nicht an die Toten, sondern an unsere Kraft, Gutes zu tun“.

Wird Aeham Ahmad seine Karriere als klassischer Pianist fortsetzen können? Wahrscheinlich. Wichtiger als sein kultiviert akkurater Anschlag ist sein Charisma. Und dass er sich mitunter in seiner eigenen Virtuosität verheddert, macht nichts angesichts seiner Botschaft: Kulturelle und menschliche Werte gegen Gewalt, Macht und Statussymbole.

In jedem Falle hat er die Kraft, davon zu überzeugen, dass als Bittsteller behandelte Flüchtlinge den hier Sesshaften Wichtiges „geben“ können.

 

DORIS KÖSTERKE
15.6.2016

Titus Grab – Ein anachronistischer Trendsetter

Rein subjektive Eindrücke einer völlig Fachfremden
aus lange zurückliegenden Begegnungen mit Titus Grab

 

 

 

Zum ersten Mal begegnete ich Titus Grab auf einem stark heruntergekommenen Bahnhof.

Ich fand, dass es dreckig war und stank. Doch er begeisterte sich für die „wunderschöne alte Bausubstanz“: für die Mauern aus aufwändig gequadertem Sandstein, für das Unterführungs-Gewölbe mit der Zierverblendung aus verschiedenfarbigen Klinkern und schließlich auch für die sauberen Parallelkurven, in denen Elektriker darauf ihre Kabel verlegt hatten.

Durch diese Begegnung mit Titus Grab sah ich diesen (mittlerweile kaputtsanierten) Bahnhof als ein Gemeinschaftswerk von vielen, vielen Menschen aus verschiedensten Bevölkerungsschichten. Jeder hatte sein Bestes gegeben. Für die Maurer und die Fliesenleger waren die sauberen Fugen Ausdruck ihres Könnens und ihrer Sorgfalt.

 

Titus Grab ist nicht zuletzt ein Wahrnehmungs-Künstler.

Mit so kenntnisreichem wie kritischem Blick betrachtet er seine Umgebung, die physische wie die soziale, und greift gestaltend ein.

 

Als er einmal nach Vorbildern für seine Kunst gefragt wurde, nannte er unter anderen Josef Beuys. Aber auch seine aus dem Hunger-Gebiet Schwäbische Alb stammende Großmutter: Sie habe ihn gelehrt, mit geringsten materiellen Mitteln stilvoll und genussreich zu leben.

 

In diesem Sinne zielt Titus Grabs Kunstbegriff auf ein Gestalten des gesamten Lebens. Beginnend mit dem, was Hundertwasser als „dritte Haut“ bezeichnet hat.

 

Weiße Wände, die hinter dem zurücktreten, was in ihnen geschieht, erscheinen mir wie ein Markenzeichen für einen von Titus Grab gestalteten Raum. Minimalistisches Mobiliar aus dezent konserviertem, in seinem natürlichen Farbton belassenem Holz schaffen eine karge, umso ausstrahlungsreichere Behaglichkeit.

Um eine gedankliche Suche zu vertiefen, räumte er einmal einen Raum komplett frei und strich die Wände weiß an. Außer dem Holzofen in der Ecke gab es zu dieser Zeit nur noch einen Stuhl, einen Tisch und darauf ein weißes Blatt Papier, einen Bleistift und eine weiße Kerze.

 

Über seine Wohnung und sein Atelier hinaus gestaltet er auch soziale Situationen.

Ein mittlerweile über die Grenzen Deutschlands hinaus verbreitetes Projekt von ihm sind die „KunstKoffer“, mit denen erfahrene Kunstpädagogen zu Kindern in sozialen Brennpunkten gehen. Zu regelmäßigen Zeiten an festen Orten geben sie Kindern die Möglichkeit, das, wie Titus Grab es nennt völlig „eigen(!)willige“ gestalterische Potential in sich selbst zu erfahren: Es wächst im Gestalten von konkreten Objekten und sollte sich später auf die eigene soziale Situation übertragen.

 

Eines seiner jüngeren Projekte ist der Feuerraum. In diesem robust ausgestatteten Raum gibt er Stadtkindern die Möglichkeit zu erleben, was Holz ist: Wie es riecht, wie es sich anfühlt, wie es gemasert ist. Oder wie es sich verhält, wenn man es zerzupft, zerhackt oder zersägt und schließlich, wie es brennt: das eine überschwänglich, das andere verhalten und ausdauernd, immer aber in verschiedenen Farben und mit jeweils eigenen Gerüchen und Klängen.

 

Es sind Erlebnisse, die in unserer Zeit kaum Platz zu finden scheinen und die dennoch reiche Resonanz auslösen – als umfassend sinnliche Antithese zu einer von vermittelten Bildern geprägten Gegenwart, in der sich die Arbeit der Hände hauptsächlich auf das Drücken von Tasten an elektronischen Geräte beschränkt.

 

Er gibt Anstöße, um das, was in dieser Zeit geschieht in Frage zu stellen und nach anderen, im wahrsten Sinne des Wortes „Sinn-volleren“ Wegen zu suchen. Voll vielfältiger und umfassender Hand-Arbeit, konsum-abstinent, stilvoll und genussreich.