Mit einhelliger Begeisterung wurde beim Rheingau Musik Festival die Aufführung von Monteverdis Marienvesper in der Basilika von Kloster Eberbach aufgenommen.
Das schottische Barockensemble Dunedin Consort war mit jeweils drei Zinken und Posaunen, einer riesigen Theorbe, Truhenorgel und sechs Streichern angereist. Ohne Chor, aber mit zehn ungemein klangmächtigen Gesangssolisten. Alle drei Frauen- und sieben Männerstimmen zusammen kamen nur im „Nisi dominus“ zum Einsatz. In den kleineren Besetzungen dienten sie als Pool für eine abwechslungsreiche Farbgebung von laserstrahl-ähnlicher Präzision zu warmer Emotionalität. Einen mächtigeren Soli-Tutti-Effekt, der sich nur durch einen Chor hätte erzielen lassen, vermisste man nur selten (etwa im Concerto „Audi coelum“ an den Textstellen „Omnes“ und „Benedicta es“). Eindrucksvoll lebendig war das durch Blickkontakte und Gesten unterstützte „Concertieren“ alternierender Sänger, der „Wettstreit“, die gleiche Phrase schöner zu singen als der andere.
Als die gregorianische Intonatio noch wenig feierlich wirkte, spürte man auf sympathische Weise die Aufregung in diesem hochprofessionellen Kollektiv, das John Butt nur in großbesetzten Abschnitten dirigierte und in den kammermusikalischen sich selbst überließ. Dass im Eingangssatz die sechs Instrumentalisten hinter dem granitblockhaften „Domine ad adiuvandum me festina“ der sechs klangstarken Gesangssolisten kaum zu hören waren, mochte man nicht auf allen Plätzen der Basilika so empfunden haben. Die eindringliche Bitte an den Herrn, zu eilen, um den Rufenden zu erretten, spiegelte die Lebenssituation, in der Monteverdi seine Marienvesper schrieb: Nachdem seine Frau an der Pest gestorben war, fehlte Monteverdi unter anderem ihr Gehalt, um sich und die beiden gemeinsamen Kinder durchzubringen. Bei seinem derzeitigen Dienstherrn konnte er nicht auf ein höheres Einkommen hoffen. Aus dieser Not heraus schrieb er über drei Jahre hinweg seine „Vespro della Beata Vergine“, weniger ein liturgisches Werk als eine kompositorische Bewerbungsmappe zur Blindbewerbung. Darin zeigte er den Reichtum seiner Facetten: Sein satztechnisches Können in polyphonen Sätzen, seine Raumklang-Experimente (etwa der Wechsel von mächtigen Klangblöcken und einkomponierten Unschärfen in „Lauda Jerusalem“), humoristische Echo-Effekte, herzhafte, renaissancehaft-folkloristische Tanzweisen. Und die Avantgarde-Musik seiner Zeit, dem teils virtuosen, teils auch schlichten einstimmigen Gesang über einer harmonisierten Basslinie, mit (im Vergleich zur barocken Oper) noch dezenten Verzierungen zum unmittelbaren Ausdruck von Gefühlen, etwa im Beben der Stimme.
Hohen Anteil an der Begeisterung des Publikums trug das Werk selbst als Kompendium der Klangkunst und der Textausdeutung. Weitere benennbare Faktoren waren die Qualität der Gesangsstimmen, ihre schlanke Führung, ihre reine Intonation und die Kraft der darin erkennbaren Sänger-Persönlichkeiten. Auch die spürbare Klangkultur und ansteckende Wachheit aller Mitglieder. Und die allgemeine Musizierhaltung des Dunedin Consort: religiös im umfassendsten Sinne des Wortes, als „Rückbindung“ an etwas über alles Weltliche Erhabenes.
DORIS KÖSTERKE