Sol Gabetta lässt Schumann einleuchten

Sol Gabetta ist wirklich klasse: Mit ihr als Solistin wirkte Schumanns Violoncellokonzert keineswegs (wie sonst allzu oft) wie das amorphe Spätwerk eines Syphiliskranken. Der geheimnisvolle Erzählton, mit dem sie jüngst im Wiesbadener Kurhaus mit dem Kammerorchester Basel begann, vermittelte die ur-romantische Einstellung, dass die eigentlich wichtigen Dinge hinter dem verborgen liegen, was man vordergründig sieht.

Die Dinge hinter den Dingen

Man verstand, dass Melodien fragmentarisch bleiben und Kantilenen unerwartet abbrechen, weil sich am Rande des Erwarteten etwas Lohnenderes, Aktuelleres, Brennenderes auftut. Auf der Achterbahnfahrt der Gefühle glühte der erste Satz vor Leidenschaft, im zweiten leuchteten himmlische Klangschönheit und Ruhe auf. Im dritten vermisste man biswei­len ihre Geistesgegenwart in Dialogen mit dem Orchester, mit dem sie von frühen Jahren an und über viele Projekte (darunter die Einspielung dieses Werks bei Sony) verbunden ist und verzieh ihr dies angesichts ihrer stupend perfektionierten Virtuosität.

Hommage an Pau Casals

Ihre Zugabe begann mit einer ausgedehnten, magnetischen Stille. Wie eine äußerst weiche Einblendung wirkten die leisen erotisierenden Klangschauer der vier Orchestercelli, aus denen Sol Gabetta mit größter Konzentration das häufig von Pau Casals gespielte katalonische Weihnachtslied „El Cant dels ocells“ (Gesang der Vögel) aufsteigen ließ.

Holzschnitt und Pantomime

Begonnen hatte der Abend mit Robert Schumanns Ouvertüre „Hermann und Dorothea“ op. 136, mit mutig trockenen, durchsichtigen Phrasierungen. Etwa zur gleichen Zeit wie das Cellokonzert entstanden, aber erst posthum veröffentlicht, staunte man über deren so ganz andere, geradezu holzschnittartige Faktur, die ein reizvoll-asymmetrisches Thema mit stilisierten Fragmenten der „Marseillaise“ verbindet. Giovanni Antonini leitete das das Kammerorchester Basel mit quirligen Ganzkörperaktionen von pantomimischem Eigenwert. Den Abschluss bildete eine ebenso kontrastreiche Aufführung von Beethovens Erster Sinfonie: mit einem herrlich ausgekosteten Trugschluss gegen Ende des ersten Satzes, einem extrem leise sich einschleichenden zweiten, einem gespenstischen dritten und einem aus seinem humorvoll tastenden Beginn feurig auflodernden vierten Satz. Das Gesamtbild war so überzeugend und der Einsatz der Musiker so vorbehaltlos, so voller Dynamik und Leidenschaft, dass man kleine koordinatorische „Webfehler“ nicht wichtig nahm. Die überraschungsreiche Zugabe stammte aus Beethovens Achter Sinfonie.

DORIS KÖSTERKE
5.12.2018