Querfeldein – Jaan Bossier und Klezmenco

„Du solltest besser darüber schreiben, wie ich Baumrinde beim Wachsen zugucke“, lacht Jaan Bossier. Als Klarinettist spielt er Stücke, vor denen hochkarätige Kollegen kapitulieren. Zum Beispiel, jüngst beim Ensemble Modern, „Art of Metal“ (2006) von Yann Robin, auf einer Kontrabassklarinette aus Metall: „Dafür habe ich drei Monate jeden Tag wirklich hart geübt“. Die Kraft dazu schöpft er im Wald. Dort läuft er, wie er bisweilen auch auf die Bühne kommt: barfuß. „Oft bin ich mehrere Tage draußen“, erzählt der gebürtige Flame.

Der inneren Stimme nach durch Wald und Musik

Mit Frau und Sohn (11) wohnt er in Bad Schwalbach, nahe am Wald. Am liebsten geht er jenseits der Wege, querfeldein. Gleiches gilt für die Musik. So spielt er nicht nur im Ensemble Modern, sondern auch Schönklangliches im Lucerne Festival Orchestra und im Mahler Chamber Orchestra. „Nur ein Ensemble wäre mir zu langweilig. Außerdem habe ich so Kontakt zu den besten Musikern der Welt“, sagt er und betont, dass alle drei Klangkörper „keine Dienstorchester“ sind: „Da ist jeder wach“.

Jaan Bossier Quartett und Klezmenco

Zusammen mit derart wachen Kollegen hat er das Jaan Bossier Quartett gegründet. Ihre jüngste CD heißt Klezmenco. Zum Klezmer hatte Bossier schon immer eine starke Affinität, ohne die traditionelle Klezmer-Schiene bedienen zu wollen: „Das ist mir zu langweilig“. Als er durch Zufall die von Federico García Lorca gesammelten Canciones Populares Antiguas in die Hand bekam, wusste er sofort, was er wollte: Zwischen Flamenco und Klezmer als zwischen zwei emotional tief berührenden Musikstilen „unterwegs“ sein, Motive und Melodien des einem beim anderen einbauen und sie mit Eigenem verknüpfen (schließlich heißt „Flamenco“ ja auch „Flame“). „Die virtuosen Anteile kamen aus meiner Klarinette geflogen“, lacht er, als lebendiges Beispiel dafür, dass Barfußlaufen gesund ist. „Die meisten ungewöhnlichen Akkorde und die nie wie selbstverständlich weiterlaufenden Metren sind von mir komponiert, wobei auch meine Mitspieler viel beisteuern: jeder trägt etwas Eigenes in die Musik hinein. Das ist jedes Mal frisch und neu und toll“.

Als Florian Peelman aus der CD-Besetzung nach Australien zurückkehrte, folgte ihm die charismatische Ensemble-Modern-Bratschistin Megumi Kasakawa nach. Außerdem spielen Gwen Cresens (Akkordeon) und Axel Ruge (Kontrabass) mit.

Folklore und Eigenes

Als Gast sorgt die Flamenco-Sängerin Amparo Cortés für besondere Momente folkloristischer Authentizität. Mit leidenschaftlichem Pathos singt sie Lorcas Zorongo, den das Quartett mit einem wilden andalusischen Tanz umspielt. Oder De Profundis, dem Bossier seine eigene Komposition „Aus der Tiefe“ folgen lässt: „meine positive Antwort auf das traurige Gedicht von Lorca und auf den im Allgemeinen so schweren Ton, mit dem Künstler aus dem zwanzigsten Jahrhundert sich auf den Psalm beziehen, der mit diesen Worten anfängt. Meine Version steht für Hoffnung. Hoffnung auf Kultur, Liebe und Menschlichkeit“. Das Abschiedsstück der CD rankt sich um den von Amparo Cortés in „Adio Querida“ besungenen Abschied der sephardischen Juden aus dem unliebsam gewordenen Spanien. Mit seinem eigenen musikalischen Kommentar will Jaan Bossier keinen hochtrabenden historischen Hintergrund zeigen, sondern „eher, dass es vielleicht überhaupt keine Heimat mehr gibt, dass wir alle immer „unterwegs“ sind, immer suchend“.

Gespür vom Vater

Das intuitive Gespür dafür, was als Kunstwerk trägt und was nicht, bekam er durch seinen Vater, den Holzbildhauer Lucien Bossier. „Oft hat er etwas gemacht und wieder zerstört. Oder es kam ins Museum“. Ein Ausstellungskatalog zeigt oft einfache Grundformen, die leicht in sich verdreht sind. Man spürt eine Parallele zur CD, die man einfach als Folklore oder Weltmusik hören kann. Doch je bewusster man sie hört, umso interessanter wird sie und behält dennoch das Organisch-Musikantische, den Gesamteindruck intuitiver Folgerichtigkeit.

Nahrung für die Innere Stimme

Ein verinnerlichtes Gespür bewahrt ihn im Wald davor, in Dornen zu treten. In der Musik spricht es aus der Genauigkeit, mit der er zum Bei­spiel das Idiom des Klezmer imitiert, mit allen dafür typischen rauen klanglichen Stilmitteln.

„Ich lerne am meisten durch Zuhören“, sagt Bossier. „Das sage ich auch meinen Schülern: hört genau zu und lasst eure innere Stimme singen“. Um die innere Stimme soll es in seinem nächsten Projekt, Echos, gehen: „Anhand verschiedener Echo-Figuren der Weltliteratur stelle ich die Frage: Kann ein Echo eine Antwort sein?“.

In jedem Fall geht er weiter querfeldein durch verschiedene Kulturen und Stil-Ebenen und seine Musik umschließt alles, – wie Baumrinde beim Wachsen.

DORIS KÖSTERKE
Januar 2019

 

 

Näheres: http://www.jaan-bossier.com.