„Lasst es uns hinter uns bringen“, sagt Schauspielerin Julia Goldberg. Feierlich gefasst führt sie die Besucher zu den Leichenteilen eines Autos. Nach einer Schweigeminute delegiert sie: „Du nimmst den Kotflügel, ihr drei den Auspuff“. Unter den Klängen von Chopins Marche funèbre werden die Teile in andachtsvoller Prozession in den Leichenwagen in der Georg-Moller-Passage getragen. Die Aufträge an das Publikum im jüngst uraufgeführten Hörtheater Abwrackprämiere und den Gang aus dem Theater in die Gasse (die zwischen dem Großen und dem Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters) kann man als Symbol sehen: hier geht es um die künstlerische Botschaft an den Rest der Welt, den motorisierten Individualverkehr schlechthin zu Grabe zu tragen.
Den moralischen Zeigefinger verbirgt Abwrackprämiere im Klamauk. In einem modellierten „Käfer“ durch die Gasse kurvend besingt Maren Schwier die Parkplatzsuche im innerstädtischen Stau bei steigender Hitze mit Herbert Grönemeyers „Mambo“.
Zu einer Trauerfeier gehört eine Würdigung des Gestorbenen. Hier zum Beispiel das von ihm vermittelte Gefühl von Prestige: Zu Janis Joplins „Mercedes Benz“ schwebt Klarinettist Ates Yilmaz im Cabrio ein, stehend, im blauen Königsmantel. Der wird ihm beim Aussteigen abgenommen und ein Monteuranzug kommt zum Vorschein. Aber Yilmaz spielt auch darin überzeugend: Die Wortschöpfung „Prämiere“ verheißt ja schließlich, dass es weitergeht.
Zu Henry Valentinos Song „Im Wagen vor mir“ verfolgt Maren Schwiers Pappkäfer ein Bobbycar, besetzt mit ihrem Sängerkollegen Stephan Bootz. Seine Flucht vor ihr bezahlt er mit dem ersten seiner drei Unfälle an diesem Abend, die er jeweils mit der Sterbe-Arie der Dido von Henry Purcell quittiert. Nach dem dritten Unfall rollt er im Krankenhausbett durch die Gasse, kann im Tempo jedoch ohne weiteres mit den anderen Fahrzeugen mithalten: Sie stehen ebenfalls im Stau. Nur Julia Goldberg kurvt munter zu den „Prinzen“-Klängen „Geniesser fahren Fahrrad / Und sind immer schneller da“ auf dem Velo durch die Reihen.
Der Liebe zum Motorengeräusch hat Dieter Schnebel sein „Harley Davidson“ gewidmet. Dirigiert von Michael Millard untermalen darin vier Motorradfahrer des Vereins „Wheels for Europe“ die Crescendi, Decrescendi und Vibrati von Klarinette und Synthesizer mit entsprechenden Motoren- und Relaisgeräuschen und man versteht, warum die Veranstaltung unter freiem Himmel stattfinden muss.
Musikalisch entfaltet das Hörtheater Abwrackprämiere keinen so starken Sog, wie seine Vorgänger „Sonnenkönige“ oder „Zerbrechliche Gespräche“. Doch man spürt, dass das Team um Anselm Dalferth viel Spaß hat. Das überträgt sich.
DORIS KÖSTERKE
Weitere Aufführungen am 18., 19., 25. und zum letzten Mal am 26.06.2019.