„amarcord“ beim Mainzer Musiksommer

MAINZ. Beim „Mainzer Musiksommer“ begeisterte das Gesangsensemble „amarcord“ in vielfacher Hinsicht. Die fünf ehemaligen Thomaner hatten ihr Konzert „Meister der Renaissance“ dramaturgisch gut durchdacht: Wer von Verkehrshektik „verstimmt“ ins Kurfürstliche Schloss gekommen war, fühlte zu Beginn in drei Motetten von Josquin des Préz, wie seine inneren „Saiten“ gestimmt wurden.

Des Préz hat seine Motette „Illibata Dei Virgo nutrix“ für Sopran, drei Tenöre und einen Bass geschrieben. Aber Tenor Wolfram Lattke bedient im Falsettregister mühelos die Frauenstimmlage mit der runden Strahlkraft einer Knabenstimme. Der leichte Tenor von Robert Pohlers sichert den klanglichen Übergang im Alt-Bereich, die Baritonstimmen von Frank Ozimek und Daniel Knauft erreichen auch tenorale Höhen. Nur von Holger Krause will man nichts anderes hören, als seinen satten, weichen Bass.

Inhaltlich verknüpft Des Prez in „Illibata Dei Virgo nutrix“ christliche Momente mit Autobiographischem. Dazu windet er jeweils zwei Stimmenpaare umeinander, während die fünfte dem Geflecht sozusagen ein „Halteseil“ aus drei langgezogenen Tönen zufügt. Diese Töne hat Desprez gewonnen, indem er die Vokale im Namen „Maria“ in die Solmisatiossilben „la“ und „mi“ übertrug: So wird „Maria“ (Welche? – Nicht mehr zu lüftendes Geheimnis!) buchstäblich zum Halt in einer komplexen Gesamtsituation.

In der Renaissance befreite man sich geistig und sinnlich aus der Vormundschaft der Kirche und wandte sich weltlichen Themen zu, darunter jeder Menge Spott: Der Wahl-Münchner Orlando di Lasso etwa spottete im Madrigal „Matonna mia“ über teutonische Direktheit. Adrian Willaert über Tratsch-Weiber in der Villanella „Vecchie letrose“, die als Zugabe erklang.

Wohl jede Musik macht am meisten Spaß, wenn man sie selbst macht. Die meisten an diesem Abend vorgetragenen Stücke mochten gar nicht für ein Publikum gedacht sein, sondern allein für einen kleinen Kreis von Menschen, die miteinander sangen. Das größte Kunststück des Abends war, dass die fünf „amarcord“-Sänger sie klanglich, deklamatorisch und gestisch so gestalteten, dass auch Menschen, die sich selbst nie eingehend mit der sogenannten „Klassischen Vokalpolyphonie“ im 15. bis 17. Jahrhundert beschäftigt hatten, an den komplexen und harmonisch kühnen Sätzen ihre Freude hatten, seien sie Philippe Verdelot, Luca Marenzio, Carlo Gesualdo di Venosa, Giovanni Gabrieli oder von Heinrich Schütz, der bei ihm studiert hat.

Der SWR hat das Konzert mitgeschnitten und das Ensemble kommt wieder in die Region: am 17. Dezember im Rahmen der Mainzer Meisterkonzerte.

DORIS KÖSTERKE