Felix Mendelssohn Bartholdy veröffentlichte Kompositionen seiner Schwester Fanny unter seinem Namen. Im Kern sagte er damit: Deine Stücke sind gut. Aber Musik von Frauen will keiner kaufen. – Unter solchen Umständen blieben Komponistinnen unbenannt und unbekannt.
Inzwischen birgt das Archiv Frau und Musik in Frankfurt-Niederrad Werke von rund 1900 Komponistinnen aus 52 Nationen, vom 9. bis ins 21. Jahrhundert. Der Weg dahin war lang.
Erst übersehen, dann vergessen
Frauen trugen zwar weite Teile des Musiklebens, traten aber nicht als Komponistinnen in Erscheinung, wunderte sich Sophie Drinker (1888-1967) in ihrem Buch „Music and Women: The Story of Women in Their Relation to Music“ (1948).
Die Dirigentin Elke Mascha Blankenburg (1943-2013) begab sich ausdrücklich auf die Suche nach Komponistinnen und fand erstaunlich viele. Neben Clara Schumann, Fanny Hensel und Lili Boulanger etwa Francesca Caccini (1587-1640), Elisabeth de la Guerre (1644-1729) oder Felicitas Kukuck (1914-2001). 1977 rief sie in ihrem Aufsatz „Vergessene Komponistinnen“ dazu auf, einen Arbeitskreis zu gründen, um Kompositionen von Frauen „auszugraben und aufzuführen“. Mehr und mehr Komponistinnen, Dirigentinnen, Interpretinnen und Wissenschaftlerinnen suchten in Bibliotheken, Archiven und Nachlässen nach Kompositionen von Frauen und brachten sie zur Aufführung. Die Fachwelt reagierte darauf mitunter begeistert. Mitunter schien sie Werke von auch noch kritischer zu beäugen als die männlicher Kollegen, die dem liebgewonnenen Repertoire auch nicht immer nur Unentbehrliches hinzufügen.
Das Archiv für Frau und Musik fördert erstklassige Ausbildung
Von ihrem Können her waren Frauen im 19. Jahrhundert waren oft erstaunlich gut ausgebildet. Julian Fischer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Archiv, rühmt die „ausgefeilte Harmonik Fanny Hensels, besonders in den späten Chorwerken“. Doch manchen anderen Komponistinnen war anzumerken, dass ihr Weg zu profunder musikalischer Bildung nicht geebnet war. Insbesondere an diesem Punkt konnte der Arbeitskreis viel bewegen und tut es in eigenen Veranstaltungen bis heute. In Zusammenarbeit mit dem mit dem Institut für Zeitgenössische Musik (IzM) an der Frankfurter Musikhochschule fördert er junge Komponistinnen durch das Arbeitsstipendium Composer in Residence. Im vergangenen Jahr konnte die mexikanische Komponistin Tania Rubio damit für ein paar Monate in Frankfurt arbeiten.
Am sichtbarsten ermöglicht der Arbeitskreis über sein Archiv Wertschätzung gegenüber zu Unrecht vergessenen Komponistinnen wie Emilie Mayer (1812-1883), Luise Adolpha Le Beau (1850-1927), Ethel Smyth (1858-1944), Luise Greger (1862-1944), Florence Price (1887-1953), Silvia Leonor Alvarez de la Fuente (1953–2004). Oder noch lebenden, wie Barbara Heller (geboren 1936) oder Vivienne Olive (geboren 1950).
Qualifizierte Mitarbeiter
Ein Stab qualifizierter, teils ehrenamtlich tätiger Mitarbeiter erschließt Funde, Nachlässe und Schenkungen fachgerecht und macht Noten, Tonträger, Werkanalysen, Sekundär- und „graue“ Literatur in übersichtlichen Regalen und Vitrinen vor Ort, aber auch digital über das Deutsche Frauenarchiv für eine breite Öffentlichkeit verfügbar. Zu den besonderen Schätzen des Archivs gehören Erstdrucke und Autographe, darunter Briefe von Clara Schumann.
Rock, Pop, Jazz, Chanson und Weltmusik
Neben Klassik gibt es auch Beiträge zu Rock, Pop, Jazz, Chanson und Weltmusik. „Aber nur, wenn sie Frauen von komponiert wurden“, betont Gitarristin Heike Matthiesen, eine der Vorstandsfrauen des Internationalen Arbeitskreises (IAK) nach der kritischen Frage, ob nicht gerade in kommerziellen Bereichen ein instrumentalisiertes Frauenbild herrscht.
Üben schafft Wertschätzung
Auf die Frage nach einer Lieblingskomponistin antwortet Dirigentin und Vorstandsfrau Mary Ellen Kitchens, Absolventin von Yale und Sorbonne, weise: „Als Musikerin liebt man immer besonders die Stücke, die man gerade übt“. Entsprechend unterstützt das Archiv neben der professionellen musikalischen Hochkultur ausdrücklich auch die breite Beschäftigung mit Frauen-Musik in Schulen, Musikschulen und im häuslichen Musizieren.
Rote Liste
Seit dem Jahr 2015 steht das Archiv auf der Roten Liste bedrohter Kultureinrichtungen. Die Bremer Mariann Steegmann Foundation und die Frankfurter Maecenia Stiftung fördern zwar einzelne Projekte. Aber um den laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten, geht durch das Anwerben von Drittmitteln viel Arbeitskraft verloren. Dennoch ist es den Mitarbeitern wichtig, nach außen hin ansprechbar zu sein. Sie beraten bei der Programmplanung, unterstützen Musiklehrer beim Finden geeigneter Unterrichtsstoffe oder empfehlen Übefutter.
Frauen komponieren nicht anders, aber …
Gibt es ein typisch weibliches Komponieren? Alle befragten Archivmitarbeiter sind sich einig: Der handwerkliche Prozess ist nicht geschlechtsspezifisch. Aber die Impulse für neue Stücke können aus einer weiblich geprägten Lebenserfahrung kommen. So schreibt Vivienne Olive gerade an einer Kinderoper über Plastikpollution.
Hindernisreicher Weg
„Lobbying für Frauen in der Musik ist für mich eine zentrale Lebensaufgabe“, sagt Mary Ellen Kitchens: „Von den Werken, die derzeit in Abonnementkonzerten erklingen, stammen nur 2% von Komponistinnen“. Auch gilt noch immer die Bitte, mit der Elke Mascha Blankenburg ihren Aufsatz von 1977 beschloss: genau hinzuhören, wenn eine Frau Musik macht. „Sie hat einen hindernisreichen Weg hinter sich“.
DORIS KÖSTERKE
22.6.2020