Daniel Cohen und das Solo für Mobiltelefon

Mit launigen Worten baute Dirigent Daniel Cohen seinem Publikum eine Brücke zum nicht alltäglichen Programm: Alle drei im Zweiten Sinfoniekonzert im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt erklingenden Werke seien Musik über Musik. Zur Illustration ließ er die Musiker des Staatsorchesters Darmstadt den Bach-Choral „Es ist genug“ singen, in dem Alban Berg sein Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ gipfeln lässt. …weiterlesen

Europas junge Interpreten-Elite

Souverän und gelassen wirkten die Stipendiaten des aktuellen Jahrgangs der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) im Prüfungskonzert zum Abschluss ihres Masterstudiengangs. Im Kleinen Saal der Frankfurter Musikhochschule schien es ihnen wichtiger, in emphatischem Sinne zusammen Musik zu machen, als eine bessere Note herausschinden. Das erste Stück, On and Off 2 (2008) von Joanna Bailie bestritten sie mit sechs Radios. Beim Regeln der Lautstärken nach einer digitalen graphischen Partitur hörten sie so genau aufeinander, dass ein feines spannungsreiches Gewebe aus Energiefäden entstand. Die Fünf Orchesterstücke op. 16 von Arnold Schönberg, die der Komponist selbst 1920 für Kammerorchester bearbeitetet hatte, profitierten von den beherzten solistischen Impulsen von Justine Ehrensperger (Flöte), Sergi Bayarri Sancho (Klarinette), Melanie Rothmann (Oboe), Ronan Whittern (Fagott), Ona Ramos Tintó (Horn), Mishi Stern (Violine), Robin Kirklar (Viola), Nathan Watts (Cello) und Dominique Chabot (Kontrabass), während Emmanuelle Fleurot am Klavier und Martin Pérénom am Harmonium den Klang unterfütterten. Die Oboistin behauptete sich technisch souverän in vier von fünf Stücken, besonders in Plot in Fiction per oboe e undici strumenti (1986) von Luca Francesconi. Der glaubwürdige Einsatz des Cellisten Nathan Watts machte Your time is over per violoncello e 9 strumenti (1993) von Fausto Romitelli zu einer existentiellen Erfahrung.

Brauchen derart reife Musiker überhaupt einen Dirigenten? In „Das Nein-Doch Spiel“ von Daniel Moreira für Oboe, Perkussion und Streichtrio (2011) zeigte Dirigent Musashi Baba seine Relevanz zumindest für das Publikum: er signalisierte einen raschen Spannungsabbau, als sei das Stück zu Ende. Der Applaus folgte prompt. Doch der eigentliche Schluss des Stückes wurde später nachgeliefert.

DORIS KÖSTERKE
19.09.19

To whom it may concern 1 von Nuno Ramos

 

Philosophisch Interessierte waren zunächst enttäuscht: Nuno Ramos bezog seine Perfor­mance „Über die menschliche Natur (To whom it may concern 1)“, die im Frankfurter Mousonturm uraufgeführt wurde, zwar auf die legendäre gleichnamige Debat­te zwischen Michel Foucault und Noam Chomsky, die Fons Elders 1971 im niederländischen Fernse­hen moderierte. Aus ihren Positionen, Foucault sy­stem­orien­tiert, Chomsky anarchisch ange­haucht, könnte man heute SUV-Fahrer und Fahrraddemonstranten darüber diskutieren lassen, wie Politik sich durch individu­elles Han­deln beeinflussen lässt. Aber Ramos konzentrierte sich auf die Musikali­tät der Sendung. Wo blieb der sittliche Nährwert dieses Mousonturm-Bei­trags zum „Eroica“-Musikfest? – „Der kommt!“ verhieß Dramaturg Marcus Droß, „nur anders“.

Uraufführung im Frankfurter Mousonturm

Immerhin war die Performance das Ergebnis von elf selbstverantwortlich ihre Parts erschaffenden Individuen: Ramos sah seine Rolle nur im Anstoßen und Moderieren der kreativen Prozesse.

Zu den drei Sprachen der Sendung, in der Foucault Französisch sprach, Chomsky Amerikanisch und ein Moderator Nieder­ländisch, fügte Ramos noch das Altgrie­chische aus Iannis Xenakis‘ Komposition „Kassandra“ (1987) für Bariton (mit Psal­terium) und Schlagzeug hinzu. Vom Schlag­zeug verstärkt füllte Bariton Miljenko Turk seinen Part mit reichlich Emotion. Aber man „verstand“ nur, dass „sie“ sich fürchterlich aufregt. Wie Xenakis die Deklamationsmelodie der klassi­schen griechischen Tragödie in eine graphisch notierte Partitur fasste, analysierte auch Komponist Diego Ramos die Sprache der Fern­sehaufnahme und fasste sie in eine ebenfalls graphisch notierte Partitur. Die daraus generierten Texte durchdrangen sich mit Xenakis‘ „Kassandra-Rufen“.

Dorsey Bushnell spielte Noam Chomsky mit dem Vorteil angeborenen US-Idioms und großer Lust am Überzeichnen der Choreo­graphie seiner Hände. Julia Mihály spricht „kein Wort Französisch“ und spielte musikantisch mit dem perkussiven Duktus Foucaults. Beide hatten sich wieder und wieder die über YouTube zugängliche Debatte angeschaut und die Laut- und Körpersprache der beiden Phi­losophen studiert. Perkussionistin Yuka Ohta huschte jenseits der nur 16 Minuten füllenden Xenakis-Aufführung wie ein Pest-Doktor mit Kapuze verkleidet von einem zum anderen und imitierte den Sprachduktus mit Rassel oder Rummelpott.

„Das ist, wie Demokratie funktioniert“, sagte Ramos nach der Aufführung am Tresen. Ein wenig bitter, seit seine brasiliani­schen Landsleute Jair Bolsonaro zum Prä­sidenten gewählt haben: Vernunft oder gar „Liebe zur Weisheit“ spielen keine Rolle.

Keine schöne Botschaft? Frei nach Brecht eine Aufforderung: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss“! Nicht auf der Bühne, nicht nur in Worten, sondern im täglichen Handeln.

DORIS KÖSTERKE

Maurice Steger und seine Schüler

Eine aufsteigende Folge lang ausgehaltener Töne eröffnet die vor 1630 komponierte Sonata seconda per canto solo von Giovanni Battista Fontana. Während Maurice Steger sie spielte, lauschte er aufmerksam in den Raum der Mainzer Seminarkirche hinein, in dem die von ihm hervorgebrachten Klänge ihr eigenes Leben zu führen begannen. …weiterlesen