Sich selbst die stärkste Kritikerin: Lucia Ronchetti

 

Am 18. April dieses Jahres wird im Bockenheimer Depot ihre Oper „Inferno“ uraufgeführt. Ihre von Achim Freyer in Mannheim inszenierte Oper „Esame di mezzanotte“ wurde von der Zeitschrift Opernwelt als „Uraufführung des Jahres 2015“ ausgezeichnet. Die Komponistin, Lucia Ronchetti, ist in diesem Jahr Stiftungsgastprofessorin an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK). …weiterlesen

Alexandre Tharaud liebt das Überraschen

 

Was passiert mit einem bekannten Werk, wenn man es in einem ungewohnten Zusammen­hang stellt? Der Klavierabend von Alexan­dre Tharaud im Kleinen Haus des Darmstäd­ter Staatstheaters gipfelte in Beethoven Sonate op. 110, begann mit Werken des französischen Barock und skizzierte mit einer eigenen Klavierbearbeitung von Mahlers „Adagietto“ aus dessen 5. Sinfonie die Entwicklung, die die Musikgeschichte nach Beethoven genommen hat. …weiterlesen

Geigerin Noa Wildschut begeistert in Mainz

 

Die junge Geigerin Noa Wildschut siegt bereits über alle Vorbehalte, sobald sie mit ihrem verschmitzten Lächeln auf die Bühne kommt. Im Mainzer Meisterkonzert „Hochbegabt“ spielte sie im Großen Saal im Mainzer Schloss mit der Deutschen Radio Philharmonie das Dritte Violinkonzert h-Moll op. 61 von Camille Saint Saens: zupackend, mit warm abgedunkeltem Ton, in dem man bereits ihre Mentorin Anne-Sophie Mutter zu spüren meinte. Die gerade erst volljährig gewordene Niederländerin überzeugt als ungebrochene Einheit von Geist, Gefühl und reger Fantasie: Bisweilen meint man ihrem Gesichtsausdruck die mnemotechnischen Eselsbrücken anzumerken, mit denen sie technische Schwierigkeiten souverän meistert und wirkungsvolle Impulse vorbereitet. Ihre Musikalität empfand man als völlige Abwesenheit von Blockaden. Offen baute sie Blickkontakte zu jeweiligen Musizierpartnern im Orchester auf und startete regelrechte „Angriffe“ auf die Dirigentin Anja Bihlmaier, die diese Energie in „Gegenangriffe“ des Orchesters umwandelte. Dass diese Aufführung durch und durch spannend blieb, verstand man ebenfalls als Erbe ihrer Mentorin, über die Noa Wildshut einmal in einem Interview mit David Smith sagte: „das Wichtigste, was ich von ihr gelernt habe, ist, auf der Bühne zu kreieren und zu «improvisieren»: Jedes Mal, wenn sie ein Stück spielt, spielt sie es anders, als in der Zeit zuvor“. Ihre Zugabe war das Andante aus der Zweiten Solo-Suite von Johann Sebastian Bach, BWV 1003.

Nach der Pause hatten sich die Reihen deutlich gelichtet, als wollten viele diesen wunderbaren Eindruck nicht durch die Erste Sinfonie c-Moll op. 11 verschütten, die Felix Mendelssohn-Bartholdy im zarten Alter von 15 Jahren geschrieben hatte. Von der Aufführung hätte man sich bisweilen mehr Dosierung der vollen Orchesterkraft und mehr Detailarbeit, etwa in der Konturierung des Kopfthemas im Finalsatz gewünscht, doch der schwungvolle und süffige Gesamteindruck kam gut an. Schon der Beginn des Konzerts mit Bachs Zweitem Brandenburgischen war bemerkenswert: eine gegenüber der symphonischen Besetzung stark reduzierte Anzahl an Geigern und Bratschern agierten im Stehen, ebenso wie das geschmeidig aufeinander reagierende Concertino aus (leider  Ventil-)Trompete (Laura Vukobratović), Blockflöte (theatralisch: Stefan Temmingh), Oboe (Veit Stolzenberger) und der Geigerin Margarete Adorf. Den langsamen zweiten Satz begann Letztere mit einem dermaßen gut ausgereiften und ausgehörten Solo, das den anderen kaum Chancen ließ, es an Schönheit zu überbieten.

DORIS KÖSTERKE
08.12.2019

Stuttgarter Kammerorchester mit Simon Höfele

 

Vor 2019 Jahren hat Jesus in diesen Tagen vermutlich schon kräftig gegen die Wand getreten. Ihm zu Ehren begann das dritte der Wiesbadener Meisterkonzerte im Friedrich-von-Thiersch-Saal mit dem Concerto grosso g-Moll op. 6 Nr 8 von Arcangelo Corelli, „Fatto per la notte di natale“, für die Weihnachtsnacht geschrieben. Sein Beginn tröpfelte vorsichtig in die Stille, um sich zu einer plastischen Erzählung zu verdichten, die, wenig klischee-hörig, in einer Pastorale ausklang.

Sensibler Umgang mit Stille

Der sensible Umgang mit Stille, das temperamentvolle Sich-Verdichten, das frische Einander-Herausfordern und lyrische Ausdünnen gehörte zu den besonders lohnenden Momenten dieses gelungenen Programms mit dem Stuttgarter Kammerorchester. Susanne von Gutzeit leitete es vom ersten Pult der Violinen aus als vorbehaltlos präsente Konzertmeisterin, in der gerade ihre Nummer Drei heranwächst.

Zu der architektonisch sauber agierenden, insgesamt 15-köpfigen Besetzung gesellte sich der erst fünfundzwanzigjährige Trompeter Simon Höfele. Unerhört weich und geschmeidig mischte sich in den Trompetenkonzerten von Tomaso Albinoni und Alessandro Marcello (beide in d-Moll) sein Ton mit den Streicherklängen. Das begeisterte Publikum forderte dringend eine Zugabe. Darauf schien der Trompeter nicht vorbereitet. Im Da Capo des letzten Marcello-Satzes verrieten leichte Kiekser und intonatorische Trübungen, wie anstrengend dieser ursprünglich für Oboe geschriebene Part für die Trompete ist.

Als Ruhepause für den Trompeter war das Concerto armonico Nr. 4 f-moll des hoch gebildeten Unico Wilhelm Reichsgraf van Wassenaer (1692-1766) eingeschoben. Im wenig ausgefallenen Werk gefielen die zarte und geheimnisvolle Stimmung im langsamen Satz und das leise Ausklingen des Finale.

Nach diesem durchweg in Moll gehaltenen ersten Teil erstrahlte der zweite Teil, als geradezu religiöse Aussage, durchgängig in Dur, energisch aufflammend in Händels „Alexanderfest“-Concerto grosso C-Dur HWV 318. Den Beschluss bildete Edvard Griegs Suite „Aus Holbergs Zeit“ mit forkloristischen Tanzrhythmen, Brummkreisel-Bässen und einer gehörigen Portion Witz, die der fundierte Programmtext von Ilona Schneider als Bezug zum Satiriker Ludvig Holbein herausstellte.

Kammermusikalisches Selbstbewusstsein

Vor allem gefiel das Selbstbewusstsein, mit dem die einzelnen Klanggruppen auch ohne den Umweg über die Leiterin miteinander kommunizierten und lebendige Dialoge führten. „Das ist Konzept“, erzählte Susanne von Gutzeit nach dem Konzert. „Auswahlkriterium für unsere vielen Neuen war, dass sie, ganz kammermusikalisch, nach allen Seiten für Impulse offen sind und eigene Akzente setzen“. Die nachdenklich stimmende Zugabe war Mozarts Divertimento F-Dur, KV 138.

DORIS KÖSTERKE
19.12.2019

Ensemble Modern spielt Frank Zappa

Frank Zappas letzte Band: Die Zusammenarbeit mit dem Rock-Avantgardisten war das wohl breitenwirksamste Projekt im demnächst vierzigjährigen Bestehen des Ensemble Modern. Mit einem Sonderkonzert zu seinem Gedenken brachte das Frankfurter Ensemble den Großen Saal der Alten Oper zum Toben.

Das erste Stück, „Dog / Meat“ aus dem gemeinsam erarbeiteten Projekt „The Yellow Shark“ (1991-93) klang noch wie mit Minimal Music gewürztes Hollywood. Doch in den folgenden ausgewählten Stücken spürte man das rege Interesse, das die Rocklegende der musikalischen Avantgarde seiner Zeit entgegengebracht und für sich fruchtbar gemacht hatte: Als, zum Beispiel, in „Outrage of Valdez“ manche Tutti-Effekte klangen, wie ins Orchestrale übersetzte Gongschläge samt ihrer Klang-Entwicklung im Nachhall, schien von Edgard Varèse inspiriert. Der atavistische rhythmische Sog in „G-Spot Tornado“ erinnerte an Strawinsky, das schwerelos pointilistische Klanggemälde „Ruth is sleeping“, an zwei Flügeln gespielt von Hermann Kretzschmar und Ueli Wiget, an Anton Webern. Und gleichzeitig an einen klaren Gebirgsbach mit Kaskaden aus Eiswürfeln.

Mehr noch im zweiten Teil des Abends, in Stücken aus dem Album „Greggery Peccary & Other Persuasions“, schienen die enorm farbigen, mitunter an Außerirdisches erinnernden Klänge des Abends nicht zu­letzt auch das Werk des Klangregisseurs Norbert Ommer: dank seiner Arbeit konnten Harfe (Ellen Wegner) und Tuba (Jozsef Juhasz) oder Geige (Jagdish Mistry) und Trompete (Sava Stoianov) einander in ihren Duos akustisch auf Augenhöhe begegnen.

Der Gesamtklang des um einige Gäste auf 29 Musiker verstärkte Solisten-Ensemble war wunderbar transparent, ein großes Verdienst auch von Ali N. Askin, der die überwiegend als Synclavier-Dateien überlieferten Kompositionen von Frank Zappa für Ensemble arrangiert hat. Die packenden Soli waren von den Musikern selbst improvisiert.

So sympathisch anti-hierarchisch es ist, wenn Zupfinstrumente (Mandoline – Detlef Tewes, Banjo – Jürgen Ruck und Gitarren – Steffen Ahrens, Christopher Brand) sich mühelos im Orchester behaupten: außerhalb von Soli und kammermusikalischen Abschnitten wurde es sehr laut. Der Majorität des Publikums schien gerade das zu gefallen. Die Rezen­sentin, von den Beats zermürbt wie ein weichgeklopftes Schnitzel, verließ das Konzert nach der dritten Zugabe, die offensichtlich nicht die letzte war (die Musiker hatten nicht mitgezählt), durchaus angetan von den Rhythmen, Klängen und überzeugt von der der Qualität der Musik. Aber auch überzeugt, dass die vielbeklagte Verrohung unserer Gesellschaft durch die Lautstärke ihrer Popularmusik zumindest mitbedingt ist.

DORIS KÖSTERKE
29.11.2019

Hagen Quartett spielt Bartoks Sechstes

Während das Hagen Quartett das Sechste und letzte von Bartoks Streichquartetten spielte, verstand man Victor Hugo: „Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“.

Das anspruchsvolle Werk erklang im Herzog-Friedrich-August-Saal der Casino-Gesellschaft beim Verein „DIe kammermusik“. Entstanden ist es 1939: Bartok hatte sich vom Nationalsozialismus offen entsetzt gezeigt. Dafür wurde er in seiner veränderten Heimat angefeindet. Noch nicht bereit, sie endgültig zu verlassen, weilte er als Gast des Mäzens Paul Sacher in der Schweiz.

Wenn die Bratsche wie ein Banjo klingt

Das Werk ist eine tastende Suche. Auf der einen Seite herrscht tiefe Trauer, die jedes der vier Instrumente in einem eigenem Solo zum Ausdruck bringt. Auf der anderen steht bissig karikierte Popularmusik: Im zweiten Satz ließ Veronika Hagen ihre Bratsche wie ein Banjo klingen. Man meint Bartoks Ahnung zu hören, dass er im amerikanischen Exil nicht werde Fuß fassen können. Zugleich versteht man dies als Statement zu aktuellen populistischen Strömungen in Europa. Besonders nahe geht die Musik, wenn im Finalsatz ein letzter Aufschrei der endgültigen Beruhigung vorausgeht: der Tod seiner Mutter erscheint wie ein Symbol für Bartoks Lebenslage.

Nicht nur heiter gestaltete das Quartett die Italienische Serenade von Hugo Wolf, wobei mediterrane Leichtigkeit die emotionalen Regenwolken immer wieder überraschend in den Griff bekam.

Einst war das Hagen Quartett ein reines Geschwister-Quartett. Der große Bruder Lukas Hagen, geboren 1962, spielt noch immer buchstäblich die Erste Geige. Nur bisweilen wird ihm der Jüngste, Clemens (geboren 1966), am Cello zum Wiederpart. Die anderen fügen sich ein: die 1963 geborene Schwester Veronika an der Bratsche und Rainer Schmidt, Ersatz für die zur Humanethologie gewechselte Schwester Angelika, als Sekundarius.

Wandlungsfähige Gestaltung

In Schuberts Streichquartett D804 („Rosamunde“) zeigte sich die hohe Qualität des Quartetts darin, dass das Thema bei jedem seiner Auftritte einen völlig anderen Charakter trug: lieblich, bitter, beiläufig, beißend, schmelzend, schaurig, schmerzlich und in allen Facetten des unwiderstehlich Tänzerischen. Immer durch und durch reflektiert, nie automatisch, mit vorbehaltlosen Wechseln zum magnetisch Verhaltenen zu wohldosiert erschreckender Lautstärke. Intonatorische Freizügigkeiten, besonders in der ersten Violine, hörte man im Austausch dafür gern zurecht. Die Zugabe stammte aus Beethovens op. 135.

Dank an Mäzene

Ermöglicht wurde der Auftritt des außergewöhnlichen Quartetts in einem Saal, wie man ihn in Frankfurt nicht findet, durch Mäzene. Ihnen sei an dieser Stelle aufs Herzlichste gedankt. Wiesbaden braucht noch mehr davon. Damit immer mehr Menschen erkennen, dass sie „geistfähige Wesen“ sind.

Doris Kösterke
3.11.2019

 

Der Ausdruck „geistfähige Wesen“ ist angelehnt an eine Formulierung von Helmut Lachenmann, vgl. „Feindbild Entertainment„.