Distanz prägte den Schubert-Liederabend von Benjamin Appl beim Rheingau Musik Festival: Der Fürst-von-Metternich-Saal auf Schloss Johannisberg wirkte für dieses intime Format, dessen Intensität durch die Gestik und Mimik des Solisten maßgeblich gesteigert wird, zu groß und – möglicherweise aufgrund der Bespannung der Schallreflektoren über der Bühne – ungewohnt trocken. Distanz aber auch zum Dargebotenen: Mit präzisester Artikulation und spürbarer Lust am Formen und Auskosten von Konsonanten und Vokalen sticht Appl regelrecht in die romantischen Texte und bringt sie zum Schillern.
Graham Johnson am Klavier improvisierte Überleitungen, die von Anfang an ahnen ließen, dass „Die Taubenpost“ zumindest als Zugabe erklingen würde. Über zunehmenden Pedalgebrauch passte er sich der Raumakustik an und verstand es dennoch meisterlich, den Sänger nicht zuzudecken, der nur selten laut wird: Selbst im „Prometheus“ D 674 überwog der leise schneidende Spott auf die Götter das klangmächtige Aufbegehren.
Schnitt mit dem Spottmesser durch …
Als roten Faden für seine Auswahl von 21 aus den rund siebenhundert Liedern, die Schubert hinterlassen hat, wählte Appl die Rahmenhandlung einer Reise durch Deutschland über die Entstehungsorte ihrer Texte. Sie begann auf Rügen mit Ludwig Gotthard Kosegarten („Nachtgesang“ D 314) und Karl Lappe („Der Einsame“) und endete in Berlin, vertreten durch Ludwig Rellstab.
…die sentimentale Bierbauchkultur Deutschlands
In dessen „Abschied“ glaubte man besonders deutlich eine Abrechnung des Sängers mit deutscher Gefühligkeit und ein Bekenntnis zu seiner unsentimentalen englischen Wahlheimat zu hören. Stationen der „Reise“ waren unter anderem Celle (Ernst Schulze: „Im Frühling“) und Göttingen (Hölty: „An den Mond“), Münster (Friedrich zu Stolberg), Dessau (Wilhelm Müller) und Frankfurt (junger Goethe mit „Ganymed“ und „Prometheus“). Weimar mit dem späteren Goethe („Wandrers Nachtlied“ D 224) und Schiller („Der Pilgrim“) durfte natürlich nicht fehlen.
Einen Höhepunkt erreichte das Programm in Tübingen: In „Frühlingsglaube“ nach Uhland machte Appl durch die Art seiner Artikulation klar, dass der darin geäußerte Optimismus sich nicht erfüllen würde.
Marktbewusst würdigten unter anderem zwei in Erlangen entstandene Lieder von August Graf von Platen („Die Liebe hat gelogen“ D 751, „Du liebst mich nicht“ op. 59,1 D 756) das Homophile.
Die Vehemenz, mit der „Dietrich Fischer-Dieskaus letzter Schüler“ sich vermarktet, kann peinlich berühren. Doch seine Technik ist überwältigend: Klanglich hat er die Randstimmenkultur, die er bei den Regensburger Domspatzen erworben hat, in die Männerstimme hineingerettet und ideal mit ihr verschmolzen. Seine weiten Atem- und Spannungsbögen verdienen hohen Respekt. Und seine Aussage kann man ernst nehmen.
Das Konzert wurde vom Deutschlandfunk mitgeschnitten. Ein Sendetermin ist bisher nicht bekannt.
Die Zwischenüberschrift war als den Gesamteindruck zusammenfassende Überschrift gedacht, taugt jedoch nicht für die SEO. Sie ist eine Referenz an den Titel einer Collage von Hannah Höch.