Gespräch mit Carola Reul

FRANKFURT. Carola Reul ist seit 2019 Geschäftsführerin der in Frankfurt beheimateten Jungen Deutsche Philharmonie (JDPh). Im Vorfeld dieses Gesprächs habe ich sie als erfrischend pragmatischen Menschen kennengelernt. So verstehe ich, dass die basisdemokratisch organisierten jungen Musiker sie einstimmig gewählt haben. Was fand sie anziehend an der JDPh?

CR: Die JDPh ist ein unkonventionelles Orchester. Ich finde es faszinierend, dass StundentInnen die Lust und das Bedürfnis haben, sich in einem von ihnen selbst verwalteten Orchester auszuprobieren. Sie übernehmen Verantwortung, suchen nach Neuem, wollen Grenzen sprengen, ihre Persönlichkeit bilden, lernen. Der Umgang mit jungen Menschen war ja der Anfang meiner beruflichen Ausbildung. Da schloss sich ein Kreis.

DK: Vor Ihrer beachtlichen internationalen Karriere haben Sie in Würzburg Schulmusik studiert. Mit welchen Instrumenten?

CR: Neben meinem Hauptfach Klavier und der Querflöte im Nebenfach habe ich auch einen Schwerpunkt aufs Singen gelegt. In meinen Jahren in London habe ich im BBC Symphony Chorus mitgesungen: Mahlers Zweite mit Claudio Abbado, Beethovens Neunte mit Bernhard Haitink, mit dem War Requiem und Sir Andrew Davis bei den Salzburger Festspielen und zahlreichen Last Nights of the Proms – das war schon toll.

DK: Sie haben also auf hohem Niveau gesungen, während Sie an der City University London ein Postgraduate Diploma in Cultural Management erworben haben. Danach haben Sie ein Praktikum beim BBC Symphony Orchestra gemacht.

CR: Ja. Und praktische Erfahrungen gemacht: etwa früh um 5 Uhr mit den Bühnenmanagern Instrumente in den LKW laden, zum Konzertort fahren, ausladen, Aufbau, Probe, Konzert, Instrumente verpacken, Einladen, zurück zum Studio, um Mitternacht ausladen – eine von vielen praktischen Erfahrungen.

DK: Ab 2000 haben Sie sich bei HarrisonParrott in London mit ganz großen Künstlern befasst, oder?

CR: Das war in der Tat so: Mauricio Pollini, Ivan Fischer, Truls Mörk, Krystian Zimerman, Tabea Zimmermann, Susanna Mälkki um nur ein paar zu nennen, wurden von mir logistisch betreut.

DK: Seit 2004 haben Sie im Logistik- und Tourneemanagement von Orchestern gearbeitet. Auf mich wirkt das wenig künstlerisch.

CR: Ganz im Gegenteil! Wenn man auf Tournee ist, hört man jeden Abend Musik. Jeden Abend! Live! Auf extrem hohem künstlerischem Niveau! Das habe ich als unheimliches Privileg empfunden.

DK: 2007 haben Sie HarrisonParrott verlassen und sind als Senior Project Managerin zur Konzertdirektion Schmid gegangen.

CR: Da hatte ich großartige Tourneen mit Esa-Pekka Salonen und dem Philharmonia Orchestra, mit dem Gewandhausorchester und Ricardo Chailly, aber auch kleine feine Projekte, etwa mit Musikern und Tänzern aus Indien.

DK: Im vergangenen Jahr sind Sie von dort zur JDPh nach Frankfurt gewechselt.

CR: Ja, ich wollte den Musikbetrieb noch von einer anderen Seite als der der Agenturwelt kennenlernen. Mein erstes Jahr bei der JDPh war sehr erfüllend, positiv, aufregend, herausfordernd. Mein Amtsvorgänger Christian Fausch hat mir eine sehr gut geölte Maschinerie übergeben und mich toll in den Job eingeführt. Ich bin schnell „angekommen“, konnte Strukturen und Abläufe verstehen und mich mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen.

DK: Was waren Highlights für Sie?

CR: Die Zeit, die wir mit Helmut Lachenmann verbringen konnten: wie er mit den MusikerInnen sprach, wie sie ihn um Rat fragten und wie sie gemeinsam sein Werk erarbeiteten, das hatte etwas zutiefst Berührendes. Beim Neujahrskonzert spielte dann das Orchester vor 2400 Menschen und bekam stehende Ovationen. Das freut mich dann natürlich auch immens. Dazwischen war das Projekt Under Construction zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum, mit fünf Auftragskompositionen zu Bildern von Bauhaus-Künstlern und fünf Poetry-SlammerInnen. eine in sich geschlossene und runde Sache …

DK: … ein spannungsreiches interdisziplinäres Projekt, das man anhand der jüngst erschienen CD nachvollziehen kann. Und wie geht es der JDPh zur Corona-Zeit?

CR: Wir haben – Stand heute – zwei von vier Arbeitsphasen verloren und hoffen, dass wir die dritte Ende August/Anfang September durchziehen können.

Finanziell werden zwar unsere Projekte gefördert. Aber unsere laufenden Kosten bestreiten wir zum Teil auch über Konzerthonorare, die ja nun komplett weggebrochen sind. Da hilft uns natürlich der Binding Preis. Aber das Geld daraus hätte ich viel lieber in ein tolles Projekt gesteckt.

Die generelle Unsicherheit zehrt an den Nerven: Eigentlich müsste ich jetzt die Planungen für 2021/22 und die Folgejahre voranbringen. Aber das ist kaum möglich, weil die Veranstalter ja mit den gleichen Unsicherheiten kämpfen und nicht unbedingt in Planungslaune sind, was ich gut verstehen kann.

DK: Die Politik lässt Künstler derzeit spüren, dass sie sie für nicht systemrelevant hält.

CR: Die eklatante Nichtbeachtung der Kultur als milliardenschwerer Wirtschaftszweig frustriert. Außerdem: Was hat ein Kammerkonzert vor hundert Zuhörern mit dem Gäubodenfest gemeinsam? Beide unter „Großveranstaltungen sind bis zum 31.8. verboten“ zu subsummieren, ist absurd! Wir müssen uns Gehör verschaffen und ich erwarte, dass man uns die Chance gibt, mit kreativen Ideen an den Tisch zu kommen und mitzudiskutieren.

DK: Meine letzte Frage: Was sind Sie für ein Mensch?

CR: Gut organisiert, wach, optimistisch (auch, wenn das gerade nicht so leicht ist), empathisch, mit einer ordentlichen Portion Humor: Ich kann sehr gut über mich selbst lachen.

DK: Damit haben Sie mich jetzt angesteckt!

DORIS KÖSTERKE
29. April 2020