Musik beeinflusst den Herzschlag, lenkt die Stimmung, stärkt die Dramaturgie. Wird jedoch von den meisten Menschen kaum noch als solche wahrgenommen, sobald es etwas zu sehen gibt. Dieses Wagnis sind die Dozenten und Studierenden an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) in ihrer „Neue Musik Nacht“ ganz bewusst eingegangen: sie wollten spartenübergreifend etwas miteinander machen und haben dies, als Vorprogramm zum gemeinsamen Tanz in den Mai, tatsächlich getan.
Ein Konzerterlebnis ist immer auch ein theatralisches: nicht selten hilft der sichtlich engagierte Einsatz eines Interpreten dabei, sich einer Komposition zu nähern. Ewa in „Coming together“ von Frederic Rzewski auf den Text eines Gefängnisbriefes von Sam Melville, dargeboten von den Stipendiaten der IEMA. Auch in der von der Pianistin Emmanuelle Fleurot gespielten „Studie für Klavier, Audio und Videozuspielung“ (2011) von Johannes Kreidler. Die Verzahnung des real-akustischen mit live-elektronischen Hörerlebnis (Klangregie: Alexander Kolb) fesselte jedoch mehr als die projizierten Bilder.
In der von Dominique Chabot auf dem Kontrabass gespielten Stummfilmvertonung „Movement Cloisonné“ von Veronika Krausas zum gleichnamigen Film von Nana Tchitchoua blieb tatsächlich ein Gleichgewicht zwischen Film und Musik gewahrt. In anderen Darbietungen des Abends schien die Musik – oft Studentenwerk – dazu nicht stark genug.
Die Themen waren immerhin aktuell. Etwa im zehnminütigen szenischen Konzert „Alter Ego“: ohne Elektronik klingt eine E-Gitarre piepsig. Aber was, wenn die Elektronik sagt: ich habe keine Lust mehr, dir nur zu dienen, ich will selber kreativ sein?
Mehrere der bis zu zwölf parallelen Veranstaltungen an zwölf verschiedenen Orten innerhalb der Musikhochschule beleuchteten die Rolle der Zuhörer im Konzerterlebnis, etwa der „Listening Automat“: die in den Innenhöfen der Hochschule platzierte Musiker ließen zunächst einen Ton kreisen, der sich allmählich zum Akkord auffächerte. Im Publikum wurden Kärtchen mit Aufgaben verteilt, wie: man solle in verschiedenen Geschwindigkeiten hüpfen und beobachten, wie das Gehörte sich verändert. Oder den Musikern etwas graphisch Notiertes vor die Nase halten, das diese dann mit aller Lust am Virtuosen umsetzten. Oder inmitten des Geschehens einen Summ-Chor initiieren.
„Doppelkopf“ für zwei Cellisten und zwei Tänzer wollte das traditionelle Verhältnis umkehren, dass ein Tanz traditionell zur Musik erfolgt. Die Komposition sah neben gemusterten Klangflächen auch deutlich koordinierte Phasen im barocken Stil vor. Doch die Cellisten konnten sie nicht wie gewohnt spielen. Das Band am Gelenk ihrer Bogenhand, über das sie mit einem tanzenden Partner verbunden waren zog den Bogen mal in den Bereich zwischen Steg und Saitenhalter, mal in die oberen Lagen des Griffbretts und sie selbst mitunter fast vom Stuhl. „Doppelkopf“ war der erste Teil der Trilogie „Resonant Bodies“, die Kompositionsschülern Einblick in die Denkweise von Tanzenden geben wollte. Die Fortsetzungen folgten in der Tiefgarage. In „Arktis/Antarktis“ faszinierte, wie Berührungen einer Zeltwand aus Alufolie in der ebenfalls aus Alufolie bestehenden Bühnenbegrenzung raschelnde Resonanz fanden – wie der meist unbeabsichtigte Widerhall menschlicher Lebensweise im Rest des Ökosystems. Im dritten Teil, „Zwischen Zweien“, schien der Reiz der tänzerischen Aktionen von der Grusel-Atmosphäre life-elektronisch verarbeiteter Flötenklänge mehr untermalt als herausgefordert.
DORIS KÖSTERKE