„Credo“ – Junge Deutsche Philharmonie und Jörg Widmann
Eine Frauenstimme schrillte durch den Großen Saal der Aschaffenburger Stadthalle. Irritiertes Sich-Umdrehen: War etwas passiert? Die Stimmen häuften sich. Junge Menschen rannten durch den Raum in Richtung Bühne und riefen musikalische Begriffe, aber auch solche wie „Verfremdung“ und „Bereicherung“. Auf der Bühne gipfelten ihre Deklamationen in einem einstimmigen „Credo!“. „Credo“ ist das Motto der Frühjahrstournee der Jungen Deutschen Philharmonie. Ihre bringt gleich vierfach den 1973 geborenen Jörg Widmann zur Geltung, als Klarinettist, Komponist, Arrangeur und Dirigent, so dass man meint, das kollektive Ich des basisdemokratisch strukturierten Studentenorchesters habe sich auf ein „ich glaube an Jörg Widmann“ geeinigt.
Kernwerk ist Widmanns 2005 komponierte „Messe für großes Orchester“. Darin erklingt kein einziges Wort, es treten weder Chor noch Solisten auf. Widmann möchte, dass jeder Musiker auf seinem Instrument den Messetext „singt“. In einer zehntägigen intensiven Probenphase (länger, als jedes professionelle Orchester zur Verfügung hat) haben die Studierenden sich der Tonsprache Widmanns angenähert, die mit oft unorthodoxen Spieltechniken bildhafte Assoziationen und emotional unmittelbar verständliche und berührende klangliche Gesten erzeugen will: ein Beispiel ist der nach dem Anschlagen in Wasser getauchte Gong, der klingt, wie ein stimmlicher Ausdruck des Leidens.
Frieden? Frieden!
Beim Komponieren, erzählte Widmann in einem Interview mit Julia Kaiser, sei ihm das „et in terra pax hominibus“ am schwersten gefallen. Der Einfall, der ihn aus dem Dilemma rettete, ist genial: Schlagzeug und schweres Blech „brüllen“ einen Choral, der wieder und wieder von leisen, aber innere Sicherheit spiegelnden Einwürfen der Streicher durchsetzt wird, bis letztlich das Leise über das Laute siegt: ein frommer Wunsch, hier hat er seinen Platz.
Restlos überzeugt hatte Widmann als Solist im 2016 von ihm für Klarinette, Streichorchester, Harfe und Celesta bearbeiteten Andante aus der Klarinettensonate (1824) von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847): Butterweich intonierte er die ins Unendliche weisende, balladeske Melodie, deren Wiederholungen des Phrasenendes er nachspürende Gestalt gab. Im zunächst im Flageolett der Geigen, dann von Celesta und Harfe aufgenommenen Gegenthema war man sich nicht ganz sicher, ob die Verunsicherung gewollt oder auf (noch) unvollkommene Ausführung zurückzuführen war.
Der begeisterte Beifall nach der abschließenden Zweiten Sinfonie C-Dur op. 60 galt wohl vor allem dem großen Einsatz der jungen Musiker, aber sicher auch dem Weg des Werkes von komplexen Verwebungen zu bestechender Klarheit. Schumann selbst schrieb darüber: „im letzten Satz fing ich an, mich wieder zu fühlen.“.
DORIS KÖSTERKE
11.3.19
Ein späterer Artikel der Autorin über ein Projekt der Jungen Deutschen Philharmonie: http://www.sokratia.de/junge-deutsche-philharmonie-bauhaus/