„Viele halten ihn für wahnsinnig, manche dachten das immer.
Die Menschen hungern, und er macht Musik.
Aber es ist ja mehr als das, es geht ums Prinzip,
darum, dass er sich
diesem Krieg, der Herrschaft des Todes und der Gewalt einfach verweigert,
dass er festhält, an dem, was der Mensch in seinen besten Momenten ist:
empfindsam für Schönheit. Und für seinen Nächsten.
Er ist ein Künstler im besten Sinne“.
– Sonja Zekri über den Pianisten Aeham Ahmad, Süddeutsche Zeitung, 2015
Werte gegen Gewalt
„Durch einen Granatsplitter in seiner linken Hand wird ihm eine weitere Karriere als klassischer Pianist voraussichtlich versperrt bleiben“, heißt es auf verschiedenen Internetseiten. Aeham Ahmad, der in den Ruinen von Damaskus Klavier spielte, um Verzweifelte ihre Würde fühlen zu lassen, gab im dicht besetzten, von Historismus und alkoholischen Düften gesättigten Foyer zum Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden kein „Klavierkonzert“ im herkömmlichen Sinne. Zusammen mit dem ägyptischen Perkussionisten Bergo Ibrahim Kamal, in selbstverfassten Balladen und unverkrampften Improvisationen im Mainstream-Jazz-Idiom mit klassisch-arabischen und klassisch-westlichen Momenten, leistete der filigran gebaute Pianist leise Schwerstarbeit: Im Transzendieren von Erlittenem in die Kraft der Musik. Und im unablässigen Versuch, sein Publikum zu erreichen.
Aeham Ahmads Stücke erschienen wie sein Händedruck: eine unendlich zarte Botschaft der Wertschätzung an das unbekannte Gegenüber. Die Balladen, die er zu seinem Klavierspiel ins Mikrophon haucht, beginnen oft mit einem tonlosen Seufzer, um sich zu Vokalisen aufzuschwingen, Ausdruck von Sprachlosigkeit angesichts des Besungenen, oder Mantra-artig ein einziges Wort in den verschiedenen Beleuchtungen der Musik leben zu lassen, wie „Jarmuk“, das palästinensische Flüchtlingscamp bei Damaskus, in dem er aufgewachsen ist. Oder das Lied auf den Duft vom Jasmin, der die Gasse erfüllte, in der er in Jarmuk gewohnt hatte.
„Das Leben ist so schön. Warum verbringen manche Menschen es damit, andere zu verletzen? Ich verstehe das nicht!“, rief Bergo Ibrahim Kamal in akzentfreiem Deutsch. Er übersetzte, was Aeham Ahmad ihm auf Arabisch zugeraunt hatte und glaubt, auch darüber hinaus dem kleinen, schmalen Pianisten mit den sprühenden Augen und den vielen Demutsgesten aus der Seele zu sprechen.
Eindrucksvoll war die von Bergo Ibrahim motivierte Schweigeminute gegen Ende des Konzerts, zu dem sich das Publikum willig erhob. „Wir denken jetzt nicht an die Toten, sondern an unsere Kraft, Gutes zu tun“.
Wird Aeham Ahmad seine Karriere als klassischer Pianist fortsetzen können? Wahrscheinlich. Wichtiger als sein kultiviert akkurater Anschlag ist sein Charisma. Und dass er sich mitunter in seiner eigenen Virtuosität verheddert, macht nichts angesichts seiner Botschaft: Kulturelle und menschliche Werte gegen Gewalt, Macht und Statussymbole.
In jedem Falle hat er die Kraft, davon zu überzeugen, dass als Bittsteller behandelte Flüchtlinge den hier Sesshaften Wichtiges „geben“ können.
DORIS KÖSTERKE
15.6.2016