Eröffnung der 50. Darmstädter Ferienkurse

DARMSTADT. Zusammenarbeit ist das Thema der diesjährigen Darmstädter Ferienkurse, die ein doppeltes Jubiläum feiern: Bei ihrer Gründung vor 75 Jahren saß allen Beteiligten noch der politische Missbrauch der Musik im Nationalsozialismus in den Knochen, gegen den man was unternehmen wollte. Die nun fünfzigsten Ferienkur­sen fallen in eine Zeit, in der industriell reproduzierte Musik gemeinhin als digital verfügbare Droge benutzt wird, um etwa Arbeitsverhältnisse zu ertragen. Diesen gegenüber apostro­phiert der künstlerischer Leiter der Ferienkurse, Thomas Schäfer, den überschaubaren Bereich einer Werkstatt, in dem Menschen gemeinsam und gleichberechtigt an etwas arbeiten. Etwa Musiker mit Musikern, aber auch mit Kreativen anderer Sparten, anderer Ethnien oder kultureller Prägungen.

Hochmotiviert bestritt das multinationale, basisdemokratisch organisierte Ensemble Modern das kurzfristig in die Große Turnhalle der Lichtenbergschule verlegte Eröffnungskonzert. Drei von vier der von Enno Poppe  exakt und tänzerisch dirigierten Kompositionen von Frauen. Etwa die Live-Uraufführung „blooming brume“ von Malin Bång. Die 1974 im schwedischen Säve­dalen geborenene Komponisten hat darin ein klangliches Abbild dieses Vororts von Göteborg geschaffen, in dem sie vor dem Hintergrund verschiedener Industriebetriebe Klavier und Geige übte.

Zu Beginn saß nur Michael Kasper auf der Bühne und strich sein Cello so, dass jedes cellospielende Kind dagegen protestiert hätte: mit der hölzernen Rückseite des Bogens längs zu den Saiten. Diese Geräusche wurden stärker und stärker und mischten sich mit den feinen Reibegeräuschen der mit Saatgut gefüllten Trommeln, die ein Ensemblemitglied nach dem anderen aus verschiedenen Ecken der Halle auf die Bühne trug. Das geschah so nahtlos, dass man dies als Werk des Klangregisseur Felix Dreher ansehen mochte. Das überwiegend aus Geräuschen bestehende Stück war so durchstrukturiert, dass man es ohne empfundene Längen als Musik genießen konnte.

„Again“ des 1940 in Brooklyn geborenen Alvin Singleton war 1979 als Auftragskom­position des Österreichischen Rundfunks beim „Steirischen Herbst“ uraufgeführt und mit dem Musikprotokoll Kompositionpreis ausgezeichnet worden. Das enorm farbige Stück schnitt kaleidoskop-ähnlich ver­schiedene Stationen der klassischen Mu­sikgeschichte, Jazz und Broadway aufeinander.

Beherrschendes Moment in „Another Lovesorry“ [sic!] von Brigitta Muntendorf waren klischéehafte Liebesbekenntnisse im Tonfall massiver Drohungen.

Das abschließende Klavierkonzert „locus … doublure … solus“ von Olga Neuwirth wurde von Pierre Boulez zu den bedeutendsten Erweiterungen der Klavierliteratur gerechnet. Hermann Kretzschmar zelebrierte genüsslich die verschiedenen pianistischen Idiome, wie etwa den Umgang mit einem im Inneren des Flügels aktiven e-Bow, oder rauschende Virtuosität. Sein Spiel wurde von einem Sampler gedoppelt. Der erweiter­te einerseits den Klavierklang durch verschiedene andere Klangfarben. Andererseits war er um rund einen Viertelton tiefer gestimmt, als der Flügel. Das brachte das Gespielte mikrotonal zum Schimmern und Glitzern.

DORIS KÖSTERKE

Das Konzert kann man sich auf Youtube ansehen: https://internationales-musikinstitut.de/de/ferienkurse/stage/live/. Die Darmstädter Ferienkurse finden in hybrider Form noch bis zum 11.8.21 statt. Alle Konzerte werden online zugänglich gemacht. Lectures und Diskurs-Formate finden auf zoom statt. Über https://internationales-musikinstitut.de/de/ferienkurse/ kann jeder kostenfrei daran teilnehmen.