Ein alter Stromzähler – oder? – Man tritt näher und schon beginnt es darin zu blinken und zu klicken. Verunsichert weicht man zurück und „Die Wundermaschine“ von Erwin Stache schweigt wieder, als wollte sie sagen: wenn du auf mich zugehst, dann spiele ich mit dir. Sonst nicht. – Die Ausstellung “hören | machen” mit Klangobjekten und Installationen von Erwin Stache im derzeit Planen-verpackten Kunsthaus auf dem Wiesbadener Schulberg lebt vom Mitmachen. Zum Beispiel am Tischobjekt „34,6 Kilo Ohm“, bei dem man Metallpole anfassen und damit einen Stromkreis schließen kann, der immer wieder anders tönt, je nach Druck und Hautwiderstand. Kleine Besucher hüpfen vergnügt, wenn drei im Ruhezustand eingefaltete Scherengitter sich klappernd vor ihnen strecken, dehnen, stramm stehen und wieder einfalten. Älteren gefällt es, wenn eins von den drei Scherengittern anscheinend keine Lust hat, genau das zu tun, was die anderen machen. Noch ältere kommen aus dem Staunen nicht mehr raus und bringen beim nächsten Besuch ihr Physikbuch mit.
Erwin Stache wurde 1960 im Erzgebirge geboren. Schon früh begann er, Klavier zu spielen und klassische Konzerte zu besuchen, die für ihn seit seiner Kinderzeit multimediale Erlebnisse geblieben sind: „Die fast direkte Übersetzung vom Zug der Posaune in die Tonhöhe faszinierte mich. Zumal – und das war das Entscheidende – diese Bewegungen keine Show darstellten, sondern notwendig waren, um derartige Musik zu machen“, schreibt er auf den fünf eng beschriebenen DIN-A4-Blättern, die man als Besucher mit in die Ausstellung nehmen kann.
Keine Show, sondern Poesie als Nebenprodukt des Notwendigen. Der Schlüssel passt. Etwa auf die Hammermaschine „Saitenspiel“ oder die vierfach „Schwirrende Unruhe“: Auch wenn Stache deren Mechanismen offenlegt, meint man, es mit jeweils einzigartigen Wesen zu tun zu haben, die ihrem eigenen Willen folgen, voller Freude an der Bewegung und dem Schmunzeln, das sie auslösen. Der Schlüssel passt auch auf „Orgelmatrix, 1979“: In den 1970er Jahren baute sich Stache eine elektronische Orgel, auf der verschiedene Anschlagsarten möglich waren. Während es in der BRD derzeit schon vorgefertigte Baugruppen gab, musste er in der damaligen DDR jeden Schaltplan selbst entwerfen und auch jede Platine selber löten. Die vielen Drähte waren viel Arbeit. In der Ausstellung kann sie wie ein Bild betrachtet werden.
Neben seiner lebensbegleitenden Klavier- und Orgel-Ausbildung hat der in der Nähe von Leipzig lebende Stache Mathematik, Physik und Pädagogik studiert. All diese Bereiche fließen in seiner Arbeit zusammen. Aus einer Projekt-Arbeit mit Gymnasiasten ist 2002 das Ensemble ATONOR entstanden, das am 18.9. im Kunsthaus auftreten wird.
Die audio-visuelle Ausstellung birgt auch eine Uraufführung: die „Magische Wand“ für Anzeigeröhren, Hochspannungsregler, Mikrocontroller, Soundmodul und Lautsprecher. Ihre optischen Herzstücke sind den älteren Besuchern, denen mit dem Physikbuch unterm Arm, noch aus ihrer Kinderzeit als „Magisches Auge“ in Omas Röhren-Radio bekannt: geheimnisvoll durchfunkelte es die Schummerstunden und zeigte an, ob sich der gewünschte Sender noch ein bisschen genauer einstellen ließ. Hier stehen die „Magischen Augen“ mit den Bewegungen der Besucher in Verbindung, die wiederum Klang-Quellen und Lautstärkeverläufe beeinflussen. Wer sich mit diesen Gesetzmäßigkeiten vertraut macht, kann nach eigenem Plan bewegte Klangbilder erstellen. Durch einen Tanz vor der magischen Wand.
DORIS KÖSTERKE
10.8.2018