Eine Art Musiktheater von Simon Steen-Andersen, aufgeführt in Mainz
„Ich“ – nein, so kann man nicht anfangen. Die Buchstaben verschwinden wieder von der Leinwand über der Bühne vom Kleinen Haus in Mainz. Auch andere Anfänge werden verworfen. „Seit Ewigkeiten hatte ich den Plan, ein Buch zu schreiben, das mit diesem Satz anfangen sollte. Das einzige Problem war nur: Wie sollte es danach weitergehen?“ scheint zwar nicht besser, bleibt aber stehen. “If this then that and now what” von Simon Steen-Andersen ist ein Stück über die Nöte, ein Stück zu schreiben. Ein unter der Leinwand schwankendes Spiegelbild vom Zuschauerraum mahnt: das geht dich an.
„Multimediale Selbstreferenz“ nennt der 1976 in Dänemark geborene Komponist sein Werk. Er selbst wird darin von vier Schauspielern dargestellt, die, wie ruhelos um Inspiration ringend, aus klappenden Türen über die Bühne zu anderen klappenden Türen laufen – wobei das Klappen und ihre Schritte ebenso Musik sind, wie ihr vom Posaunen-Glissando begleitetes Stolpern über Treppenstufen: Steen-Andersen nennt Charlie Chaplin und Buster Keaton seine „Lieblingskomponisten“. An späterer Stelle mimen die Schauspieler (exzellent: Rüdiger Hauffe, Marin Lemić, Matthias Lodd, Matti Swiec!), oft zu zweit und synchron, einen Musikhochschulprofessor, der so gründlich wie strapaziös über Kunst und Wirklichkeit, Funktionsharmonik und die vier Formen der Selbstreferenz, die absolute, die autoprozessuelle und die selbstzerstörerische, referiert, während auch sein periodisch eingefügtes ärgerliches „Pscht!“ zum musikalischen Material wird: Später, als die Musik sich gegenüber den Texten verselbständigt, erkennt man es wieder, vom Schlagzeug imitiert und kompositorisch weiterverarbeitet. Im perfekt Synchronen und in wechselnden Graden heterophoner Abweichungen davon lässt das Professorenduo Stereo- und Mono-Effekte erfahren, mit dem künstlerischen Resümee, dass aus dem genauen Beleuchten von Banalem eine „Magie der Selbstreferenz“ sich entfaltet.
Das Bühnenbild wird von zwölf Streichern und ihren Instrumenten in der ersten Reihe auf der Bühne bestimmt. Um ihre Verwandtschaft mit den Celli und Kontrabässen zu betonen, halten Geiger und Bratscher ihre Instrumente senkrecht auf dem Schoß und versuchen sich in indischer Spieltechnik. Vier Schlagzeuger agieren im halbdunklen Halbkreis um zwei bisweilen Ballett-artig in Szene gesetzte Posaun(ist)en. Click-Tracks ersetzen den Dirigenten. Die digitale Koordination ermöglicht eine fesselnde Choreographie der Streicherbögen und Posaunenzüge und so delikate Klangerlebnisse wie ein alle zwölf Streicher durchwanderndes Glissando.
Die Faszination der Aufführung lag im durchkomponierten Ineinander von Akustischem, Visuellem und Gedanklichem; auch in so köstlichen Einfällen wie dem Seil, das wie eine Schallwelle über Trommeln schwang. Und in den schauspielerischen Leistungen, auch mancher Musiker.
Doch mitunter wünschte man sich, dieses von der Münchner Biennale in Auftrag gegebene und dort am 28. Mai dieses Jahres uraufgeführte Werk ließe sich noch „destillieren“: Bisweilen hängte sich das Bühnengeschehen auf, wie ein mühsamer Schaffensprozess. Oder ein stagnierender Lebensabschnitt.
Vielleicht muss das auch so bleiben. Denn Steen-Andersen sieht in einem menschlichen Lebensentwurf nichts anderes als (s.o.:) eine selbstzerstörerische Selbstreferenz.
DORIS KÖSTERKE
Erstveröffentlichung in Frankfurt am 25.06.2016