Darmstadt . Wer abseits vom Heinerfest zu Fuß oder mit dem Fahrrad an der Mathildenhöhe unterwegs war, wunderte sich über hohe klare Singstimmen, die aus dem Wäldchen am Osthang tönten. Mit Volksliedern, Spirituals und Popsongs machten die Kinder- und Jugendchöre des Staatstheaters den Vögeln Konkurrenz. So wurde etwa hinter einem Busch das lothringische Lied „O du schöner Rosengarten“ angestimmt. Eine größere Gruppe führte es, von Alice Zorzit mit italienischem Temperament geleitet, im dreistimmigen Satz fort. Den Stimmen war anzumerken, dass ihnen das Thema, eine große Liebe, von der die Eltern nichts wissen sollen, durchaus vertraut ist.
Osthang klingt
Die oft überraschenden Richtungen, aus der die Stimmen tönten, waren ein großer Reiz. Die Vorschläge dazu waren von den Jugendlichen gekommen. Operndirektorin Kirsten Uttendorf hat nur den einen oder anderen Tipp beigesteuert. Für die Jugendlichen war es „ihre“ Sache, keine, die man ihnen oktroyiert hat. Sie hatten spürbar Spaß dabei, an diesem unüblichen Ort Theater unter Menschen zu tragen.
Intendant Karsten Wiegand freut sich: „Als ich nach Darmstadt kam, haben etwa 35 Kinder und Jugendliche am Theater gesungen“. Kurz vor Corona waren es hundert mehr. Derzeit singen etwa 90 bis hundert junge Menschen von sechs Jahren an in vier Chören. Manche wechseln von dort in den Extrachor des Theaters. Wiegand ist es wichtig, dass jeder dazukommen kann, der möchte. Es kostet nichts und man muss auch nicht vorsingen. Die musikalische Bildung wächst beim Mitmachen und der Freundeskreis des Theaters ermöglicht sogar eine qualifizierte Stimmbildung. Das Mitmachen in Opern- und Theaterproduktionen, etwa als „Knaben“ in Mozarts Zauberflöte, macht riesig viel Spaß. Ein Nebeneffekt, der Wiegand ebenfalls freut ist, dass Menschen als Eltern, Großeltern, Freunde oder Verwandte der jungen Sänger ins Theater kommen, die vorher nur daran vorbeigegangen sind. Sie machen die Erfahrung, dass Theater ihnen etwas „gibt“ und kommen auch unabhängig von den Kindern wieder.
Plädoyer für das Singen
Nach dem Missbrauch des Singens zur Hitlerzeit haben Adorno und seine Jünger mit ihrer Musikanten-Polemik ganze Generationen „ent-mündigt“. Wie schön, dass Alice Zorzit diese elementare Musikkultur wieder aufleben lässt. Im hochkulturellen Sinn ist das zwar „noch keine Musik“. Aber ein breiter Weg dorthin.
DORIS KÖSTERKE
2.7.22
Weitere Aufführungen am Freitag, den 8. und am Sonntag, dem 10.7.22.
Der Eintritt ist frei. Spenden werden für Workshops und Reisen der Chöre gesammelt.