Megumi Kasakawa spielt David Fennessy

Gespenstisch: Auf der noch leeren Bühne standen Plexiglas-Schirme vor den Pulten der Bläser. Als Schutz der Mitspieler vor einem Ausstoß von Aerosolen, der nach musikmedizinischen Studien gar nicht zu erwarten ist. Ein Stapel Küchenkrepp wartet auf die Entwässerung des Horns. Kein Zweifel: das Team des Frankfurt LAB hat keine Mühe gescheut, die Spielstätte für das erste Live-Konzert des Ensemble Modern nach zweieinhalb Monaten Isolation Corona-fest zu machen. Das ursprünglich für ein Abonnementkonzert in der Alten Oper geplante Programm hatte man zugunsten von personell reduzierten Stücken geändert, auf eine Stunde kondensiert und, um unter den Abstandsgeboten keinen Hörwilligen ausschließen zu müssen, dreimal hintereinander gespielt.

Was für eine Leistung der Musiker! Und welches Fest, sie wieder zu erleben, wie sie über das präzis koordinierende und herausfordernde Dirigat von David Niemann hinaus aufeinander hörten, mit ihren Blicken den engen Bezug zu dem jeweiligen Kollegen unterstreichend, dessen Impuls sie weiterführten, in dessen Klang sie sich einschmiegten, um ihn umzufärben.

Die Deutsche Erstaufführung von Baca II (2019) von Nina Šenk bestach durch ihre klare Materialordnung: In allen, teils dramatischen Entwicklungen meinte man das Ausgangsgangsmaterial „PunktPunktPunkt – großes Amalgam – hinausweisende Linie“ wiederzuerkennen. Die Komponistin hat es analog zum Fertigen einer Glasperle (Baca) im Zusammentragen verschiedener Erden, dem Verschmelzen und dem sorgsamen Abkühlen gewählt. Im Bild der Glasperle sieht Šenk die Dualität aus Zerbrechlichkeit und Stärke gespiegelt, die sie ausdrücklich auf die Position von Frauen in der Gesellschaft bezieht.

“The double mingles of elements” (2017/2018) von Klaus Ospald glich einem Kaleidoskop sorgsam modellierter Klangzustände, die sich mitunter wie schwüle dicke Luft im Raum zusammenballten und von echauffierten Soli zerrissen wurden. Eindrucksvoll gebot Dirigent David Nieman ein stilles Lauschen, bis ein in den Flügelsaiten (Kult: Hermann Kretzschmar) nachhallender Klarinettenaufschrei (mit vollem Einsatz: Jaan Bossier) verklungen war.. Das wäre ein hintersinniger Schluss gewesen. Aber das Stück ging noch etwa zwei Drittel so lang weiter. Immerhin mit plastischen Klangbildern, die man etwa als Aufprall mit Stoßwelle samt Staubwolke interpretieren konnte.

Seine Deutsche Erstaufführung erlebte das Bratschenkonzert „Hauptstimme“ (2013) von David Fennessy mit Megumi Kasakawa als unerschrockener, auch szenisch ansprechend agierender Solistin. Viele seiner jüngsten Werke, schrieb Fennessy im Programmtext, „konzentrieren sich auf das Konzept des Individuums und darauf, was es zu einer Gruppe beitragen kann“.

Das Stück begann wie ein vom Schlagzeug (Rainer Römer) eingeheizter Groove. Zum Draufsetzen, aber ohne Wohlfühlfaktor. Mehr und mehr „Aussteigern“ lassen die ruhig agierende Solistin im Dialog mit dem nach wie vor einpeitschenden Schlagzeug zurück. Schließlich schweigt auch das Schlagzeug. Die Solistin spielt ruhige Arpeggien, die zunächst unspektakulär wirken. Doch mehr und mehr hört man sich in ihre wohltuende Sonorität ein und erkennt wieder, was der 1976 geborene Ire 2007 sagte, als er Stipendiat der Internationalen Ensemble Modern Akademie war: Er stelle sich in jedem seiner Stücke vor, wie es sich anfühlt, es zu spielen. Sein Ziel: etwas hervorrufen, das er, in Abgrenzung zu einer äußeren Virtuosität, als mentale Virtuosität, als Intensität beschreibt. – Durch die Brille der Corona-Erfahrungen betrachtet eine neue, zuvor unterschätzte Qualität.

Zum Abschluss konterte Megumi Kasakawa den Fußtrittgruß des Dirigenten, der derzeit Küsschen und Knuddeln ersetzen muss, präzis koordiniert auf filigranen High Heels.

DORIS KÖSTERKE
24.5.2020

http://www.sokratia.de/innere-virtuositaet-bei-david-fennessy/