Gespräch mit Klangregisseur Norbert Ommer

Norbert Ommer ist Klangregisseur, nicht nur beim Ensemble Modern. Was das ist und was er macht war Gegenstand von zwei Gesprächen via Skype, deren Niederschriften er jeweils korrigiert und ergänzt hat. Die Quintessenz ist hier komprimiert:

DK: Herr Ommer, was Sie als Herr der Mikrofone, Schieberegler, Knöpfe und Lautsprecher leisten, können am ehesten Ihre Kollegen ermessen. Noch zu Studienzeiten, lange bevor der Verband Deutscher Tonmeister Ihnen den Goldenen Bobby zuerkannt hat, hat Karlheinz Stockhausen, Pionier im Feld zwischen Musik und Elektronik, Sie für sich arbeiten lassen.

(Für Nicht-Insider: Für Stockhausen arbeiten zu dürfen, war eine hohe Auszeichnung, denn er war extrem wählerisch. )

Kunst und Technik

NO: Ja, Stockhausen war der erste bedeutende zeitgenössische Komponist, mit dem ich arbeiten durfte. Für ihn war ich so eine Art Assistent, habe ausgeführt, was er sich vorstellte. Er hat mit immensem Perfektionismus gearbeitet. Im Studium habe ich das technische Herangehen gelernt, von Stockhausen das künstlerische. Er hat mir sozusagen Antennen aufgesetzt für Aspekte, die man als Toningenieur kaum wahrnimmt.

DK: 2002 bekamen Sie den Goldenen Bobby. Soweit ich sehe, wurde dieser Preis erst- und auch letztmals in der Kategorie „Szenische Darbietung bei wesentlicher Mitwirkung eines Tonmeisters“ vergeben.

Goldener Bobby

NO lacht: Ja, die Kategorie wurde extra für mich geschaffen. Auslöser war mein Anteil an „Three Tales“ mit der Musik von Steve Reich und dem Video von Beryl Korot. Inhaltlich geht es um drei Ereignisse, die die Bewertung von technischem Fortschritt verändert haben: die Explosion des Zeppelins „Hindenburg“, die Atomversuche im Bikini-Atoll und das geklonte Schaf Dolly, das früh eingeschläfert werden musste, weil ein lebender Körper halt keine Maschine ist.
Steve Reich wünschte sich ein Sounddesign, das man mit wenig Aufwand an verschiedenste Aufführungsorte anpassen konnte. So wurden etwa alle Life-Musiker, sie kamen von den Londoner Synergy Vocals und dem Ensemble Modern, einzeln verstärkt. So konnte ich sie der Konzertsituation individuell anpassen. Steve wollte aber auch, dass die Zuschauer kein Mikro sehen und erst recht nicht über Kabel stolpern. Da muss man wissen, wie man das löst.

Viel Kleinarbeit beim Aufbereiten von Tondokumenten

Um das Video zu unterfüttern, hatte er historische Aufnahmen von Geräuschen und Tondokumente zusammengetragen, wie Propellergeräusche vom Zeppelin, technikbegeisterte Beiträge von Nachrichtensprechern oder keineswegs begeisterte von Bikini-Einwohnern, über deren Schicksal verfügt wurde. Das waren naturgemäß schadhafte Dokumente, die ich zuerst einmal aufbereiten musste. Ich habe alle Klänge so bearbeitet, dass es nicht nur bunt, sondern auch „gut“ klang und so genau wie möglich mit dem Video in Einklang kam. Im Konzert habe ich dann unterm Partiturlesen sechzig Kanäle live abgemischt.

Sounddesigner, Ton-Ingenieur und Tonmeister in einer Person

DK: Auf Ihrer Website schreiben Sie: „Für mich bedeutet Klangregie, dass ich Sounddesigner, Ton-Ingenieur und Tonmeister in einer Person bin“. Sie passen also zunächst einmal auf, dass man neben der Tuba auch noch die Geige hört? Haben Sie solche Lautstärke-Verhältnisse nicht in irgendeiner Matrix gespeichert?

NO: Nein, das geht nicht. Eine Geige oder Tuba klingt in jedem Raum anders.

DK: Darf sie das nicht? Darf der Raum nicht mitspielen, so wie er ist?

NO: Ja, der Raum soll sogar mitspielen. Man muss nur Folgendes wissen: Wenn jemand sagt, dieser oder jener Konzertsaal sei ein „guter“ Raum, muss man fragen: Wofür? Die meisten dieser Konzertsäle sind für große Orchester des 18. und 19. Jahr-hunderts gebaut. Kleinere Besetzungen muss man näher an den Zuhörer heranholen.

DK: Ein Beispiel?

Hören mit der Lupe

NO: In dem Stück „Fury 2“ von Rebecca Saunders im Projekt „Story Water“ mit Emanuel Gat Dance stand der Kontrabassist Paul Cannon von Tänzern umgeben in der Mitte der Bühne. Unter akustischen Bedingungen hätte man ihn unter dem Trappeln und Atmen gar nicht gehört. Da habe ich an verschiedenen Stellen seines Instruments und am Notenständer insgesamt fünf Mikros angebracht. Rebecca arbeitet ja auch mit der Tatsache, dass so ein Instrument überall anders klingt. Sie war total happy, dass ich dieses „Hören mit der Lupe“ auch in der Freiluft-Situation im Papstpalast von Avignon und im Frankfurt LAB für alle Zuhörer erlebbar gemacht habe.

N.B:  Als Zuhörer bemerkte man weder Mikrofone, noch Kabel, noch Lautsprecher.

Ungewöhnliche Umgebungen

DK: Auf Ihrer Website beschreiben Sie einen Klangregisseur als „Übersetzer des Komponisten“: „Er kann Klänge hörbar machen, die ohne Zuhilfenahme von Elektronik nicht zu hören sind“.

DK: Übernehmen Sie als Klangregisseur nicht Aufgaben, die eigentlich der Komponist lösen müsste? Die traditionelle Lehrmeinung sagt ja: wer als Komponist etwas verlangt, das sich auf einem Instrument nicht realisieren lässt, ist ein schlechter Komponist!

NO: Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich nach bestem Wissen versuche, die Ideen und Klangvorstellungen des Komponisten umzusetzen. Auch in den ungewöhnlichsten Umgebungen.

IEMA

DK: Insgesamt haben Sie mit den avanciertesten zeitgenössischen Komponisten, mit dem Ensemble Modern, den Berliner Philharmonikern, der WDR Bigband und vielen anderen Erfahrungen gesammelt. Die geben Sie im Rahmen der Internationalen Ensemble Modern Akademie (IEMA) an junge Klangregisseure weiter. Sind Sie ein strenger Lehrer?

NO: Wer an der IEMA genommen wird, hat schon einige Semester Tonmeister-Studium hinter sich und ist bereits sehr gut in seinem Fach. In dem sehr intensiven gemeinsamen Jahr vergrößere ich ihren oder seinen Spaß an der Sache durch den Spaß, den ich an der Sache habe. Spaß und Leidenschaft sind das Entscheidende.

DORIS KÖSTERKE
17.12.2020

 

Website von Norbert Ommer: https://www.norbertommer.com/