Patrick Lange dirigiert Lindberg und Weill

 

WIESBADEN. Im jüngsten Sinfoniekonzert „WIR3“ des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden im Friedrich-von-Thiersch-Saal stammte eins von zwei Werken aus dem zwanzigsten, das andere aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Der Beifall war jeweils überaus lang und herzlich. Zweifellos galt er der Person des dem Intendanten entflohenen Generalmusikdirektors Patrick Lange. Sicher auch dem Orchester, das höchst solidarisch und engagiert mit ihm zusammenarbeitete. Aber wohl auch den Werken.

Klarinettenkonzert von Magnus Lindberg

An Vogelstimmen im Morgengrauen erinnert der solistische Beginn im Klarinettenkonzert des 1958 geborenen Finnen Magnus Lindberg. Vielleicht ist es mithin deshalb so beliebt, weil es sich auch auf rein emotionalem Wege erschließt, während es sich darin sicher nicht erschöpft: so lässt etwa das immer wieder in unvermuteten Zusammenhängen aufblitzende Anfangsmotiv vermuten, dass auch kompositorisches Können dahintersteht. Geschrieben hat Lindberg das Stück für seinen Landsmann Kari Kriikku. Doch der Solist dieses Abends, Sebastian Manz, hat sich so intensiv mit dem Komponisten ausgetauscht, dass Lindberg ihn nicht nur autorisiert hat, das Stück zu spielen, sondern es sogar zu dirigieren. Bereits der Solopart lotet die Vielfalt des Klarinettenklangs aus. In den ausgedehnten Solokadenzen ließ Sebastian Manz seine Klarinette sprechen, schreien, wimmern, beten und immer wieder singen.

Anerkennung für die Musikerinnen und Musiker des Staatsorchesters

In wunderbar sinnfälligen Momenten zeigte sich, dass die Musiker des Orchesters sich im besten Sinne „nachschaffend“ mit ihrem Part auseinandergesetzt hatten. Etwa, als die Erste Geige dem Klarinettenton mit einem Pizzicato nahetrat, als wolle sie ihn kitzeln. Oder als die das solistische Eingangs-Motiv viel später aus den Reihen der Orchesterklarinetten erschallte, als würden sie sich nach ihm sehnen. Man gewann den Eindruck, dass Lange seine Musiker als Künstler in ihrer Kreativität herausfordert, bestärkt und ernst nimmt, statt „von oben herab“ über sie zu verfügen, auch in der sich anschließenden Zweiten Sinfonie von Kurt Weill.

Zweite Sinfonie von Kurt Weill

Wiederholt wurde der fast ausschließlich als Vertoner subversiver Brecht-Texte bekannte Weill gedrängt, seiner Zweiten Sinfonie, die er 1933, während seiner Übersiedlung ins Pariser Exil schrieb, doch einen anschaulichen Titel zu geben. Er weigerte sich vehement. In manchen Einspielungen löst sich ihr bedrückender Beginn bald auf in Melodien zum inneren Mitsingen, die nach Broadway-Art auf der Klaviatur der Emotionen spielen. Beim Blick in die Partitur keimt ein Verdacht auf Ironie. Etwa, wenn Takte allzu häufig unverändert wiederholt werden. Patrick Langes durchweg zwingend einleuchtende Interpretation war beißender Sarkasmus. Eine Abrechnung mit seinem Wiesbadener Dienstherrn? – Das gehört in den Bereich der freien Interpretierbarkeit.

DORIS KÖSTERKE
1711.21