„Alles, nur nicht das!”, habe er beim ersten Blick in die Noten von Rebecca Saunders‘ ›Fury II‹ gedacht: „So viel Vor-Information zu jedem einzelnen Klang!“. Im Werkstattkonzert ›Happy New Ears‹ des Ensemble Modern im Holzfoyer der Oper Frankfurt spielte Kontrabassist Paul Cannon seinen Part dann so natürlich, als hätte er ihn selbst improvisiert. Eine Riesenleistung des Interpreten, der wiederum die Komponistin lobte: sie kenne sich mit den einzelnen Instrumenten und ihren erweiterten Klang- und Spielmöglichkeiten aus, wie kein anderer.
Genau darauf wollte Enno Poppe hinaus, der als Moderator mit brillantem Einfühlungsvermögen in die Gedankengänge seiner Komponistenkollegin und als enorm präziser, exzellent vorbereiteter Dirigent zum überragenden Erfolg des Abend beitrug: Rebecca Saunders gehört zu den gefragtesten und faszinierendsten ihrer Zunft, weil sie ihr Handwerk versteht. Und (im Gegensatz zu Handwerkern, die den Alltag zur Hölle machen können) minutiös genau wahrnimmt und entsprechend genau plant. Der überwältigende Klangreiz ihrer Musik, die soghafte Intensität, die faszinierenden Binnenstrukturen, etwa im an diesem Abend erklungenen ›dichroic seventeen‹ (1998), sind nicht zuletzt die Früchte überragenden Könnens, das Rebecca Saunders, die im Dezember dieses Jahres fünfzig wird, unter anderem bei Wolfgang Rihm erworben hat.
Hinzu kommen ein vielleicht typisch englischer Mut, die eigene Individualität zu kultivieren, sowie eine große Portion visionärer Intuition. Und Allgemeinbildung. Und natürlich Interpreten wie die des Ensemble Modern, die sich diese sehr spezielle Sprache aufs Sensibelste zu eigen machen. Im von Samuel Beckett inspirierten Stirrings Still I (2006) müssen Altflöte (Dietmar Wiesner), Oboe (Christian Hommel), und Klarinette (Jean Bossier) in sich jeweils zweistimmig spielen. Das geht. Aber nur sehr leise und mit äußerster Konzentration. Und schafft eine entsprechende Atmosphäre bei den Zuhörenden. Im abschließenden ›Fury II‹ wollte Saunders, wie sie es im Gespräch mit Enno Poppe nannte, einem kontrabassistischen Energieausbruch Resonanz in anderen Instrumenten verschaffen. Man staunte über die Genauigkeit, mit der sie die geräuschhaften Begleiterscheinungen der mächtigen körperlichen Präsenz des Kontrabasses (mit noch weiter heruntergestimmter fünfter Saite!) analysiert, für Bassklarinette, Cello, Akkordeon, Klavier und Schlagzeug imitierbar aufbereitet und damit noch komponiert hatte.
Danke für diesen wertvollen Abend!
DORIS KÖSTERKE
1.3.2017