Über Heimat und die Kraft der Oper
Uraufführung „Schönerland“ von Søren Nils Eichberg
Die Stimmung war nicht schlecht nach der Uraufführung von „Schönerland“ im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden. Hier und da hieß es, man müsse darüber nachdenken. Was will Theater mehr? Dass die Musik nicht aus vergangenen Jahrhunderten, sondern von dem 1973 geborenen Deutsch-Dänen Søren Nils Eichberg stammt, hat nicht gestört, zumal sie, unter der Leitung von Albert Horne wacker umgesetzt, ihre atmosphärischen und dramaturgischen Aufgaben eher unaufdringlich erfüllt.
„Schönerland“ handelt von der Suche nach Heimat. Schauplatz ist ein Hafen in Nordafrika, Syrien oder der Türkei. Die Protagonisten sind Flüchtende, wartend auf ein Boot, das sie in ein Land bringt, in dem man wenigstens ohne Angst schlafen kann. Am liebsten auch weiter studieren, arbeiten, lieben, einen Garten pflegen und feiern.
Das Stück wurde vor drei Jahren vom Hessischen Staatstheaters Wiesbaden in Auftrag gegeben, als die erfolgte politische Entwicklung noch nicht absehbar war. Libretti und Kompositionen brauchen zum Entstehen viel Zeit, wurden dabei von Ereignissen überrollt und machen noch immer den Eindruck einer gärenden Masse, die sich möglicherweise nach der Premiere noch ändern wird.
Um nicht bloße Betroffenheits-Kosmetik zu betreiben, hangelt sich das Libretto von Therese Schmidt noch einen zweiten Strang entlang, in dem die Kunstform Oper sich selbst reflektiert: Ein Intendant (Thomas de Vries) will mit großer zeitnaher Kunst die Welt verbessern und ein „Publikum, das hört und sieht und handelt“. Ein Komponist (Erik Biegel) will „Eine Musik, die mehr ist, als wir sind“ und eine Stückeschreiberin (trefflich gespielt und in der ihr auf den Leib geschriebenen Arie angenehm vibratoarm: Britta Stallmeister), wendet sich in ihrem verzweifelten Ringen um Inspiration an Flüchtlinge und blitzt kläglich dabei ab.
Einem intelligenten Publikum soll man seine Assoziationen nicht vorkauen. Dennoch hätte man sich gewünscht, dass das Bühnengeschehen öfter und deutlicher über sein Werben um Empathie hinausgegangen wäre. Geglückt war dieser Schritt, als die Schlepper beschließen, auch Intendant und Komponist nicht mit ins Boot zu nehmen, weil sie nicht genug Geld haben. „Nur die Besten“ (Wer bestimmt die Kriterien?) dürfen ins Boot, während andere vergeblich versuchen, die glatten steilen Wände des metallenen Trichters (Bühne: Volker Hintermeier) zu erklimmen und schmerzvoll dabei abrutschen. Diese wiederholte Szene schreit nach einer Aktualisierung über die Flüchtlingsproblematik hinaus.
Aussagestark gelang die Szene, in der „Der Syrer“ (Feras Zarka) fremdsprachenbedingt mehr schlecht als recht beim Theater vorgesprochen hat und der Intendant mit einem „Wir melden uns“ wie dem Sog eines Staubsaugers folgend, mit den Massen von der Bühne verschwindet.
Definitiv als „Oper“ überschrieben bietet „Schönerland“ tatsächlich Operntypisches mit vibratoreichem Druck auf sentimentale Ader und Tränendrüse. Im ausgedehnten zehnten, letzten Bild zeigte vor allem Aaron Cawley als allegorische Figur des Dariush (aus dem Altpersischen: Das Gute festhalten), was Oper kann: Mit Saida (Eleni Calenos) bildet er ein Paar, in der die Partner ineinander eine Heimat finden. Auch besingt er die Erinnerung an das, was der zurückgelassene Vater ihm beigebracht hat und verkörpert damit etwas, was Kunst vermitteln soll und kann: Werte.
DORIS KÖSTERKE