Spielfreude und humoristische Distanz prägt die Inszenierung der 1607 in Mantua uraufgeführten, von der Geschichte geheiligten Oper „Orfeo“ von Monteverdi in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt: Gesangsbeiträge wirken, als würde jemand aus Spaß einen fremden Dialekt nachmachen. Homogene Ensemblestellen sind nah an der Karikatur. Manche der Monteverdi-typischen Stottertriller scheinen ganz bewusst keinen musikalisch einleuchtenden Sinn transportieren zu wollen. Grellbunt Gekleidete tummeln sich um ein mit Plastik-Farnen, -Moosen und -Gräsern bestücktes Rondell und treiben Späße miteinander. Manche Männer tragen Frauenkleider. Die Rolle der Euridike singt ein Mann, der sich in Sopranlage bewegende Countertenor Robert Crowe. Er singt auch den Apollo. Das mit vielen hohen Streichern, Blockflöten und farbenreicher Continuo-Gruppe besetzte Orchester wirkt sehr präsent aus dem Hintergrund. Vom linken Bühnenrand tönen bisweilen zusätzliche Trompeten und Posaunen.
Als giftgrüne Nymphe mit dicken Tautropfen an überlangen Wimpern verkündet Elisabeth Hornung den plötzlichen Tod der Euridice. Während Orpheus mit Vertretern des Totenreichs über Ein- und Ausreise verhandelt, bedient der Schlagzeuger des Orchesters die Blasebälge eines Portativs. Giacomo Marignani entlockt dem historischen Orgel-Instrument kazoo-artig schnarrende Klänge, die den so begleiteten Gesang der Jenseitigen noch unheimlicher machen.
Nachdem es Orfeo (David Pichlmaier, dessen Augen mindestens so beredt sind wie sein Gesang) gelungen ist, den Fährmann Caronte mit seiner Musik einzuschläfern, unterbricht Joachim Enders sein Dirigat, um den führerlosen Kahn des Sängerkollegen in Richtung Unterwelt zu manövrieren. Cathrin Lange als Proserpina (ausstaffiert, als wolle man sie verkaufen) umgarnt schlangengleich ihren Ehemann Plutone, bis dieser (Christian Tschelebiew) vor den Wirkungen kapitulierend verfügt: Na gut. Aber nur, wenn er sich nicht umdreht. Als Orpheus, umgeben vom Geheul der Furien um seine Gattin besorgt, diese göttliche Anordnung ignoriert, machen die übrigen Darbietenden auf der Bühne das, was man selbst als Zeuge auch am liebsten täte: den Kopf gegen einen Betonpfeiler drücken.
Aber so unsterblich ist Orfeos Liebe denn doch nicht, als dass er bei seiner Braut in der Unterwelt bliebe. Er kehrt zurück und macht, was er am besten kann: musikalisch klagen. Bis Vater Apollo sich beim Angebot, doch wieder bei ihm einzuziehen, in seiner Perücke verheddert. Die an die Bühnenrückwand projizierten Texte fügten dem Inhalt des Librettos Facetten zu, die man als aktualisierend empfand. Doch als man unter der Fülle der visuellen Eindrucke den Nachhall des vergnüglichen Abends suchte, vermisste man darin die Musik.
DORIS KÖSTERKE
8.9.18