Mit dem Volk auf Du und Du stehen wollte Hanns Eisler mit seiner Oper „Johann Faustus“. Doch Walter Ulbricht wetterte über das Libretto, die SED werde es nicht zulassen, „daß eines der bedeutendsten Werke unseres großen Dichters Goethe zur Karikatur verunstaltet wird“. Tatsächlich hatte Eisler sich weniger an Goethe als an dessen Quelle, die Faust-Sage, gehalten. Die freie Künstlergruppe „studioNAXOS“ setzte sich in ihrer Theater-Musik-Performance in der Frankfurter Naxoshalle überwiegend abstrakt mit dem Eisler-Text auseinander.
Ein Haus auf Rollen schien Sinnbild der Mobilität heutiger Menschen. Darin bekam man seinen Eingangsstempel. Oder auch nicht, denn die Zahl der Besucher überschritt die Zahl der zugelassenen Plätze. Wer sich am Haus vorbeischlängeln durfte, fand auf der vermeintlichen Bühne eine Cellistin und einen Pianisten. Spielten sie miteinander? Oder nur gleichzeitig? Das Programmheft verriet: Letzteres. Die eine Komposition stammte von Tobias Hagedorn, die andere von Yongbom Lee. Nach einer Weile sollte eine Falttür die Musiker vom Publikum trennen. Sie klemmte. Ein Hinweis darauf, dass zwischen der Kunst und den Zuschauern keine Barriere sein soll? Unterdessen pochte es hinter den Rücken der Zuschauer so heftig, dass alle ihren Stuhl in die andere Richtung drehten: wer sich bemüht hatte, vorne zu sitzen, saß nun hinten. Möglicherweise auch durch die Raumakustik bedingt, verstand nicht jeder alle von einer Schauspielerin gesprochenen Worte. Nur so viel, dass man hier ein „anderes“ zeitgenössisches Theater machen wollte, mithin, indem man auch so genannte „Experten des Alltags“ als Darsteller hinzuzog.
Gelungen schien der an mittelalterliche Gesangskunst erinnernde Dialog zweier Solostimmen (Musik: Rafael Orth): Faust strebt nach Wahrheit. Die andere Stimme fragt: „Nach welcher?“.
Als Eislers Verdienst gilt, dass er die Figur des Hanswurst wieder eingeführt hat, die der Bildungsanspruch des bürgerlichen Theaters von der Bühne verbannt hatte. Hanswurst ist keiner Gruppe und keinen Prinzipien treu. Hauptsache, es gibt was zu futtern, das schmeckt und vielleicht sogar ein schönes Mädchen. Genau diese Mentalität interessierte die Theatermacher vom studioNAXOS (weil die Mehrheit der Bevölkerung diesem Typus angehört?).
Die „Schwarzspiele“, die in Eislers Libretto nur von den scharfsinnigen „Negersklaven“ verstanden werden, nicht aber von den Reichen, von denen Faust sich Ruhm und Ehre verspicht, waren in dieser Inszenierung von jeweils anderen Künstlern als Spiele im Spiel gestaltet. Das letzte Schwarzspiel versammelte die gesamte Statisterie: Menschen aus allen Altersstufen und Herkunftsländern, die das Bild auf jeweils eigene Art bereichern. Das hätte man, scheint es, auch auf der Straße beobachten können. Aber da hat man ja meistens seinen Kopf woanders.
DORIS KÖSTERKE
13.9.18